Eine schöne Gelegenheit, um im Frühling warm zu werden für größere Touren im Sommer, ist eine Wanderung auf’s Kammerlinghorn. Dieses liegt im Hocheisgebiet im Nationalpark Berchtesgaden und kann entweder von österreichischer Seite über St. Martin oder von bayerischer Seite vom Hintersee aus in Angriff genommen werden. Beidemale muss man entweder mit dem Bus zum Hirschbichl fahren – was sich mir von selbst verbietet – oder mit dem Radl, was die Knie schon vor der eigentlichen Tour etwas weich macht…
Da es jetzt abends schon lange hell bleibt und die Tour keine soo große Sache ist, hab ich’s in der Früh erstmal gemütlich angehen lassen, mit einem schönen Frühstück. Dann Rucksack und Fahrrad ins Auto gepackt und los ging’s zum Parkplatz Hintersee/Ramsau. Von dort radelt man einige Kilometer eine autofreie schmale Straße durch ein herrliches Tal hinauf zum Hirschbichl. So sanft, wie die Steigung unten anfängt, bleibt sie aber nicht. Je weiter man zwischen die Berge kommt, desto knackiger geht’s bergauf. Meine fahrrad-untrainierten Beinchen machten das nicht lange mit und ich stieg ab und schob den gelben Esel. Neidischen Blickes sah ich den einen oder anderen Radler zügig an mir vorbeisegeln – aber es gab genügend andere, die genauso wie ich schnaufend und schwitzend den Berg rauf schoben. Das ist an sich ja auch schon ganz schön anstrengend – da merkt man erst, dass so ein Fahrrad was wiegt. Bisschen weich waren meine Knie, als ich am Hirschbichl ankam, ich glaub, ich muss öfters mal wo rauf radeln…
Der Hirschbichl hat eine bewegte Vergangenheit: Früher gab es da neben der regulären Handelsroute auch regen Schmuggelverkehr zwischen Österreich und Bayern. Heute ist dort ein Gasthaus mit spektakulärem Blick auf das Stadlhorn der Reiteralpe. Ob sie auch gutes Bier haben, muss ich erst noch irgendwann testen.
Ich versteckte das Fahrrad im Wald – es ist ja nun wirklich kein Schmuckstück, aber es könnte doch ein Spaßvogel auf die Idee kommen, es sich für den Rückweg zum Parkplatz auszuleihen. Den Schlüssel für’s Schloss hatte ich halt wieder mal nicht dabei… Dann startete ich auf einer Forststraße zur Kammerlingalm. Dort ging’s quer über eine Kuhweide eine steile Wiese hinauf, wobei man schnell an Höhe gewinnt und einen tollen Blick nach Süden sowohl auf den Hochkranz als auch auf die Leoganger Steinberge dahinter hat.
Am Ende der Weidefläche verschwindet der Weg im Wald und man taucht ein in kühles Fichtendunkel. Nicht lange, und die Fichten überlassen den Latschenkiefern das Terrain und es bietet sich erneut eine grandiose Aussicht auf das Hintertal. Der Weg windet sich um eine nicht wirklich hohe, aber dennoch imposante Felswand und es öffnet sich der Blick nach Westen auf die Reiteralpe mit dem markanten Stadlhorn. Nicht lange, und der Weg ändert erneut die Richtung und führt nun einen latschenbewachsenen Rücken hinauf. Hinter diesem erhebt sich ein mächtiger felsiger Buckel mit schroffen Steilabbrüchen. Da freut man sich dann, dass man es bald geschafft hat. Doch wenn man ein bisschen weiter geht, ein Stück um die Flanke dieser grauen Eminenz herum, dann erscheint dahinter plötzlich ein noch wesentlich gewaltigerer runder grauer Gipfel – und der ist dann erst das Kammerlinghorn, das vorher ist der Karlkogl. Aber das wusste ich weiter unten noch nicht, und da ich mich dem Ziel schon so nahe wähnte und ordentlich Kohldampf hatte, suchte ich mir auf einem Felsen ein schönes, sonniges Plätzchen mit freiem Rundumblick auf die Bergwelt und widmete mich dem Inhalt diverser Schachteln aus meinem Rucksack.
Nach diesem gemütlichen Päuschen rappelte ich mich auf für den Gipfelansturm. Zwischen dem Karlkogl und dem langgezogenen Rücken des Kammerlinghorns liegt ein Einschnitt, von dem aus man einen beeindruckenden Blick ins Kleineistal und auf die Wand des Kleineishörndls hat. Wuchtige Felsbrocken liegen in dem Tal und die Abbruchkante sieht so bröckelig aus, dass man meint, es müsse jeden Augenblick ein weiterer Block herunterfallen.
Nun, sie blieben, wo sie waren, und ich riss mich von dem faszinierenden Anblick los und machte mich an den etwas mühsamen Aufstieg. Wenn man so von unten rauf schaut, kriegt man das Gefühl, da käme man niemals ans Ziel, aber wenn man dann Fuß vor Fuß setzt und sich ein wenig von den blühenden Schönheiten am Wegrand ablenken lässt, so ist man doch schon erstaunlich viel weiter gekommen, wenn man das nächste Mal zum Gipfel schaut. Und irgendwann – schneller, als man befürchtet hat – steht man dann am Gipfel und schaut in die Ferne – atemlos nicht nur vom Ausblick. Dieser ist allerdings am Kammerlinghorn grandios: Man hat im Westen die Reiteralpe mit dem markanten Stadlhorn, man sieht die Loferer und die Leoganger Steinberge im Süden, das Seehorn mit dem Großen Hundstod und Steinernen Meer im Osten und im Norden den Hochkalter. Jede Menge gewaltiger Fels, da kann man eine ganze Weile schauen. Allerdings wehte ein frisches Lüftchen da oben, und auch wenn man sich so ein bisschen zwischen ein paar Felsen am Gipfel ducken kann, so ist es doch nicht wirklich gemütlich.
Fasziniert hat mich der Grat zum Hochkammerlinghorn und weiter zur Hocheisspitze. Da führt ja kein Weg entlang, aber in meinem Alpenvereinsführer ist die Strecke zu diesen weiteren Gipfeln beschrieben. Da muss man schon sehr unerschrocken und trittsicher sein, um über dieses schmale bisschen Grat zu steigen. Ziemlich luftig.
Ich lies mich zu solch haarsträubenden Klettereien nicht verleiten und folgte brav dem Weg vom Gipfel hinab zum Karlkogl. Dem stieg ich noch schnell auf den Kopf und schaute mich auch da ein wenig um, dann machte ich mich an den Abstieg in Richtung Bindalm. Und dieser Weg ist wirklich ganz besonders schön, weil man beständig den Blick auf die imposanten Gipfel der Reiteralpe hat, immer wieder anders umrahmt von Bäumen und Felsen links und rechts des Weges. Da kam ich natürlich nicht ganz so schnell voran, weil ich alle naslang das herrliche Panorama fotografiert habe.
Und da ich so neugierig bin, habe ich einen Abstecher in Richtung Kleineis gemacht (von Eis keine Spur, das ist nur der Name. Im Sommer ein ziemlich vielversprechender Klang…) Das war nun eine reichlich mühsame Sache! Ein steiles, rutschiges Geröllfeld rauf, um eine Felsnase herum ein weiteres Geröllfeld gequert, genauso rutschig. Zum Glück hatten ein paar nette Gemsen eine Art Spur in dem Geröll hinterlassen, denn es war so steil und das Geschottere so fein, dass ich ein paarmal um ein Haar den ganzen schönen Hang wieder heruntergerutscht wäre. Puh. So ganz frisch waren meine Beinchen da auch nicht mehr, und so dauerte es etwas, bis ich oben an der Kante, dem Eingang zum Kleineistal, ankam. Da lagen einige dicke Blöcke, die hatte ich von unten schon gesehen. Auf die stieg ich – und sah eine kleine Herde Gemsen weiter oben, die mich erschrocken anschauten. Mit mir hatten die nicht gerechnet. Womit ich wiederum nicht gerechnet hatte, das war das nächste steile Geröllfeld, das sich im Anschluss an die Blöcke vor mir auftat. Ach neee – darauf hatte ich nun keinen Bock mehr, zumal ich mich da alleine auf ziemlich unsicherem Gelände weit ab vom Weg bewegte. Lass was sein, und dann kannste schauen, wie du wieder runter kommst…
Also verzichtete ich auf das Kleineistal, verputzte auf dem sonnigen Felsblock einen Riegel und schaute den Gemsen zu, die leichtfüßig auf den unglaublichsten Felsvorsprüngen umherstiegen. Das war eine ganz andere Klasse „herumklettern“…
Der Abstieg zum Weg war dann unerwartet einfach und flott – in so feinem Schotter kann man wunderbar abfahren – und ich setzte unten meinen Weg durch den von spätnachmittäglicher Sonne durchfluteten Lärchenwald fort.
Ich traf auf einen Blattkäfer in schnittigem Metallic-Look und auf so zarte Schönheiten wie wilde Rose und Alpenrebe am Wegrand.
Es dauerte nicht lange, und ich erreichte die Mittereisalm. Die Almhütte steht noch und sieht ganz fit aus, doch der große Stall ist verfallen. Umso reizvoller als Foto-Objekt! Ich trödelte also schon wieder mit der Kamera herum. Um die Nostalgie des Objektes einzufangen, fotografierte ich in Schwarzweiß.
Und dann endlich ging ich das letzte Stück, an der Bindalm vorbei (wobei ich wieder mit einem unglaublich schönen Panorama im Abendlicht beglückt wurde), zum Hirschbichl und meinem braven Drahtesel. Mit dem ging es ziemlich flott die Straße durch das Tal zurück zum Parkplatz am Hintersee – die Luft unterwegs war schon ganz schön frisch. Zu guter Letzt gönnte ich mir auf der Heimfahrt in Inzell ein Eis aus meiner Lieblings-Eisdiele – mit Sahnehäubchen.