Eine Wanderung hoch über Königs- und Obersee rund um die Röth ist landschaftlich äußerst reizvoll. Vor drei Jahren bin ich diese Tourenversion zum erstenmal gegangen und hatte nun Lust auf Wiederholung. Das Wetter war stabil und sehr heiß, was sich oben in den Bergen ja am besten aushalten lässt. Für eine Mehrtagestour hatte ich keine Zeit und so war diese großzügige Runde eine perfekte Alternative.
Um 5.30 Uhr klingelte der Wecker. Dummerweise schlief ich nochmal ein und erwachte erst kurz nach 6 wieder. Das erste Schiff über den Königssee fährt um 8 und das wollte ich kriegen. Etwas hektisch machte ich mich fertig, der Rucksack wartete schon gepackt im Auto. Ich musste über Reichenhall fahren, da die Strecke über die Ramsau gesperrt war. Ich kam ganz gut durch und fand einen Parkplatz nahe der Touristenmeile. Bestens. Ich eilte zur Seelände, wo mich eine bereits recht große Menschenmenge erwartete. Eine lange Schlange vor dem ersten Bootssteg, eine andere vor dem einzigen offenen Ticketschalter. Damit war klar, dass das erste Schiff ohne mich fahren würde, und so war es auch. Das zweite fuhr aber nur zehn Minuten später mit mir an Bord. Ich saß gleich neben dem Einstieg, und da nur dort ein bisschen mehr Platz ist, werden dort immer die mitgeführten Kinderwagen abgestellt. Diesmal stand da aber ein Hundewagen – einem Kinderwagen sehr ähnlich, aber kürzer, mit zwei Pekinesen an Bord, die mit feuchten Kulleraugen herausschauten. Kurios.
Endlich erreichten wir Salet und ich verließ Schiff und Menschenmenge und wanderte zur Saletalm. Vor mir waren ein junges Paar und ein Einzelgänger. Ich ließ es langsam angehen, ich habe so meine Erfahrung mit den unzähligen steilen Stufen des Sagerecksteiges. Es war kurz nach Neun und schon ganz schön heiß. Ich schwitzte nicht schlecht. Ich tropfte so vor mich hin und hatte ganz schön zu tun mit dem Aufstieg. Zwischendurch blieb ich stehen, fotografierte das Panorama und schnaufte. Der Sagerecksteig ist sehr anstrengend, doch der Blick, der sich einem über Königs- und Obersee bietet, ist fantastisch.
Nachdem die Wand durchstiegen ist, taucht man ein in üppig grünen wilden Bergurwald. Der Pfad schlängelt sich um moosbewachsene Felsen herum, modernde Baumstämme liegen quer und immer ist der Untergrund feucht und etwas rutschig. Hufabdrücke von Gemsen mischten sich mit den Spuren der Wanderer. Ich genoss diesen besonderen Wegabschnitt.
Schließlich kam ich zur ehemaligen Sagereckalm und beschloss, ein kleines Päuschen zu machen. Ich kletterte auf einen schattigen Felsblock am Rand der Wiese. Ich trank erstmal ausgiebig – selten so geschwitzt wie auf dem Steig. Dann futterte ich eine Handvoll aus der Trockenobst-Tüte, es war immerhin schon Mittag. Das stärkte meine Lebensgeister und da mir in dem durchschwitzten Shirt im Schatten schnell kalt wurde, machte ich mich wieder auf den Weg. Ich kam kurz darauf an die Kreuzung mit dem Weg vom Kärlingerhaus. Ich fühlte mich sehr verlockt, einen Abstecher nach rechts zum Grünsee zu machen und mir in ebendiesem ein Bad zu gönnen und zögerte einen Moment. Allerdings hatte ich mir für diesen Tag eine sowieso schon stattliche Runde vorgenommen und hielt es für klüger, auf Extratouren zu verzichten. Innerlich seufzend – nicht nur wegen des Sees sondern auch, weil der verwunschenste Teil des Waldes nun hinter mir lag – wandte ich mich nach links. Bis zum Schwarzsee – der mit seinem Binsengürtel grüner ist als der Grünsee – war es nicht weit. Ein Grüppchen Wanderer saß auf den Holzbohlen, auf welchen man den See bei hohem Wasserstand trockenen Fußes passieren kann und ich turnte an ihnen vorbei. An einer feuchten Stelle am Wegrand labten sich Alpenweißlinge, flatterten auf und umtanzten mich kurz, als ich vorüber ging. Hübsch. Wenig später erreichte ich das Halsköpfl. Dieser kurze Abstecher ist ein MUSS, denn die Aussicht von dem kleinen Hügel ist phänomenal. Ein paar Leute waren schon oben, gingen aber kurz darauf und nur Mutter und Tochter blieben noch. Bisschen verschreckt, die Zwei, sie unterhielten sich im Flüsterton, als wären wir auf dem Friedhof. Ich meinte launig, nun müsste uns nur noch jemand einen Kaffee servieren, und das brach das Eis und wir unterhielten uns nett, während ein frischer Schwalbenschwanz um uns herum taumelte um sich immer wieder auf derselben Pflanze niederzulassen. Überhaupt wuchsen da auf dem kleinen grasigen Halsköpfl viele verschiedene Wildblumen, umflattert von verschiedenen Schmetterlingen. Ich machte es mir auf der Bank gemütlich, aß Käsebrot mit Aprikose und löffelte einen Becher Hummus. Ich hatte mitgenommen, was halt noch so im und um den Kühlschrank herum gelegen hatte…
Weit unten zogen weiße Boote ihre Bahnen auf dem Königssee, der Blick fiel genau auf Bartholomä. Vis a vis betrachtete ich die deutliche Spur, welche ein Frühjahrsbergsturz in der Felswand am Obersee in der Bergflanke hinterlassen hatte. Muss mächtig gerumpelt haben.
Schließlich raffte ich mich aus der Gemütlichkeit auf, verabschiedete mich von Mutter und Tochter aus Lübeck und folgte dem Wanderweg bis zu der jederzeit verlässlich tropfenden Quelle in der Felswand am Weg. Dort füllte ich meine Flaschen auf – ich hatte insgesamt nur einen Liter Wasser dabei, doch würde ich auf dieser Tour in regelmäßigen Abständen an Wasser vorbei kommen – wozu also unnötig mitschleppen. Das frische Bergwasser ist sowieso der Hit. Aus entgegengesetzter Richtung kam eine Frau, füllte ebenfalls ihre Flasche auf und wir plauderten kurz. Dann gingen wir unserer Wege.
Ich traf auf dem weiteren Weg zur Wasseralm kaum Leute – was auf diesem Weg eine Seltenheit ist – und genoss die stille Natur. Mit einer der extrem umfangreichen alten Fichten machte ich ein Selfie – Dick und Doof. Auch diese herrlichen Baumveteranen wird eines Tages der Borkenkäfer erwischen, teilweise hat er das schon, wie schade.
Irgendwelche Raupen oder Käfer hatten Lochmuster in die Blätter des Alpendost gefressen, teilweise waren nur noch die Blattadern vorhanden. Foto-Grafisch sehr interessant.
Ich war froh über den Waldesschatten, durch welchen der Weg führte, doch war es trotzdem ganz schön heiß und ich schwitzte nicht schlecht. Als ich zu den Wiesen der Wasseralm kam, schwenkte ich kurzerhand nach links, wo das Wasser der beiden Quellbäche am Zusammenfluss eine schöne Gumpe bildet. Von der anderen Seite kamen drei Frauen den Bachlauf entlang und plötzlich hörte ich fragend meinen Namen. Es war eine Bekannte mit ihrer Nichte und einer weiteren jungen Frau, die beide in der Saison an der Wasseralm arbeiteten. Welch nettes Aufeinandertreffen. Wir stiegen alle unterschiedlich weit ins eiskalte Wasser, ich schaffte es bis zur Taille, spritzte mich hastig ab und hatte es dann eilig, meine vor Kälte schmerzenden Füße erstmal wieder an Land zu bekommen. Aber herrlich – welche Erfrischung! Ich setzte mich mit meiner Bekannten ins Gras und wir ließen uns von der Sonne trocknen, während die Mädchen sich verzogen. Ein Weilchen später stiegen wir nochmal ins Wasser und tauchten diesmal beid im Becken unter, hatten es danach aber ebenso eilig, wieder heraus zu kommen. Nah erneuter Lufttrocknung zogen wir uns an und schenderten am Bach entlang zur Wasseralmhütte. Dort gönnte ich mir einen Kaffee mit einem großzügig dimensionierten Stück Schokokuchen und verabschiedete mich von meiner Bekannten, die etwas mit ihrer Nichte besprechen wollte. Ich füllte erneut meine Flaschen auf und machte mich gut gesättigt wieder auf den Weg. Ein paar Meter hinter der Wasseralm rauschte ein kleiner Wasserfall und ich beschloss spontan, ihn anzusehen. Da ich nicht mehr zurückgehen wollte, folgte ich dem an dieser Stelle abzweigenden Weg zu den Teufelshörnern ein Stück und querte dann, dem Rauschen folgend, zum Wasserfall. Ich kam oberhalb desselben an, doch teilt sich der Bach dort im Wald in mehrere Bächlein, die alle ganz zauberhaft über Felsen und Moos rauschen. Ich turnte ein Weilchen fotografierend dort herum, entzückt über dieses wunderbare Wasser. Dann ging ich zurück zum Wanderweg in Richtung Landtal. Hin und wieder kamen mir Leute entgegen, doch dafür, dass die Strecke zwischen Gotzenalm und Kärlingerhaus via Wasseralm sozusagen der Highway des Nationalparks ist, war an diesem Dienstag wirklich nicht viel los. Von verschiedenen Stellen hat man ganz wunderbare Ausblicke auf den Obersee. Das spätnachmittägliche Licht zauberte Streifen in die Bergflanken. Ich war ganz versunken in den Anblick, als mich eine des Weges kommende ältere Dame unter ihrem Strohhut hervor ansprach. Wir plauderten ein ganzes Weilchen miteinander in gegenseitiger Sympathie, dann setzten wir unseren jeweiligen Weg fort. Bald konnte ich den Röthbachfall sehen, der jetzt im Gegensatz zum Morgen einiges Wasser führte, das in langen sonnenbeschienenen Fahnen die Wand heruntergischtete.
Ich kam zu dem Wald unterhalb des Landtals, der stellenweise dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen ist. Den dadurch entstandenen Lichteinfall haben am Boden zahlreiche Walderdbeerpflänzchen genutzt, die mit dicken, roten Früchten lockten. Dieser Versuchung erlag ich gerne und pflückte von der Hand in den Mund, die beste Art des Beerenpflückens!
Von dort war es nicht mehr weit bis zur Landtalalm. An deren stets zuverlässiger wunderbarer Quelle füllte ich nochmals meinen Wasservorrat auf. Ein Mann kam des Weges mit seinen drei Kindern, der jüngste vielleicht 9, die Älteste vielleicht 15. Der war sehr nett und die ganze kleine Gruppe strahlte etwas Entspanntes aus. Wir plauderten kurz, während sie ebenfalls ihre Flaschen füllten und der Mann erzählte von einer älteren Frau aus Berlin, die noch weit hinter ihnen im Schneckentempo kam und insgesamt bis Triest wandern wollte. An diesem Tag hätte sie eigentlich vom Stahlhaus bis zur Wasseralm gehen wollen, nun aber beschlossen, irgendwo zu biwakieren, da sie es bis zur Hütte unmöglich schaffen konnte. Krass. Entweder sehr tough, die Lady, oder sehr blauäugig.
Im Landtal war die Sonne schon längst verschwunden, nur Hochsäul und Kahlersberg waren noch sonnenbeschienen. Unterhalb der Abzweigung zum Eisenpfad traf ich auf die eiserne Lady aus Berlin. Man sah ihr schon an, dass sie einige Anstrengung hinter sich hatte, aber sie war ganz munter. Mit erstaunlich tiefer Stimme – manch ein Mann wäre froh darüber – erzählte sie mir, dass sie Herzprobleme habe, ihr Kardiologe zu ihrer Idee, bis Triest zu wandern, gesagt habe „Machen Sie das, Frau Schmidt!“ und sie langsam gehe und in sich hinein spüre. Sie war Viertel nach neun vom Stahlhaus gestartet. Jetzt war es halb acht. Zehn Stunden für diese Strecke und es war ihr klar, dass sie heute nicht mehr zur Wasseralm kommen würde. Sie wollte hier irgendwo biwakieren. Ich betrachtete ihren nicht übermäßig großen Rucksack und fragte nach Isomatte und Schlafsack. Sie hatte eine Rettungsfolie dabei und einen Biwaksack – und einen Hüttenschlafsack. Letzteren kann man als Wärmespender vergessen. Von ihrem Biwaksack meinte sie, der würde laut Hersteller 90 Prozent der Körperwärme reflektieren. Das wäre dann ein Wundermaterial und inzwischen glaubt sie das sicher nicht mehr… Immerhin hatte sie ETWAS dabei und mitsamt aller verfügbaren Kleidung würde sie schon durch die Nacht kommen, auch so verausgabt, wie sie war. Ich empfahl ihr die Landtalalm – da ist es zwar sehr feucht und damit nachts auch kalt, aber auf der Wiese einigermaßen gut zu liegen und es gibt Wasser. Unterhalb der Landtalalm ist noch etwas felsdurchsetzter Wald und danach nur noch Steilgelände, in dem man nicht mal ein ebenes Plätzchen für den Schlafsack findet. Sie meinte noch, in ihrer Tourenbeschreibung sei dieser Abschnitt als mittelschwer beschrieben, sie habe die heutige Strecke aber schon als schwer empfunden, sei auch in ein Schneefeld eingebrochen. OK, also die Tauern würde sie vergessen können. Aber solange sie so vernünftig war, solch anspruchsvolle Abschnitte auszulassen, könnte sie insgesamt doch eine wundervolle Zeit auf sicheren Wegen haben und ihr Ziel erreichen. Ich wünsche ihr, dass sie nicht aufgegeben hat…
Entschlossen und kein bisschen zaghaft ging sie langsam weiter und ich auch. Ich liebe das Landtal, das so malerisch ist und dessen flankierende Bergwände den Blick ins Steinerne Meer so schön einrahmen. Ich blieb immer wieder stehen und schaute.
Am Hochgschirr ging diesmal nicht der übliche kalte Wind und ich beschloss, auf einem der dortigen Felsbrocken Brotzeit zu machen. Gesagt, getan, und ich stieg auf den höchsten, von dem aus ich sowohl über den Seeleinsee zu Fagstein und Windschartenkopf sehen konnte, als auch in entgegengesetzter Richtung über den Röthkessel hinweg bis zum Wildalmkircherl.
Ein einsamer Wanderer kam aus dem Landtal herauf und stieg zum Seeleinsee ab, ohne mich bemerkt zu haben. Die Brotzeit war da eh schon verputzt. Kurz darauf packte ich meine Siebensachen und ging zügig weiter – ich würde sowieso nicht vor 23 Uhr am Auto sein. Am See bog ich ab in den Stiergraben – das ist von dort über die Priesberg- und Königsbachalmen der kürzeste Weg zum Parkplatz. Ich holte den Wanderer ein und es entspann sich ein nettes Gespräch. Wir gingen zusammen weiter bis zur Priesbergalm, wo er sich ein Plätzchen zum Biwakieren suchen wollte. Der hatte eine mehr als doppelt so lange Heimfahrt wie ich und wollte diese ganz entspannt am nächsten Tag antreten. Es war inzwischen stockfinster, doch auf der hellen Forststraße war das kein Problem. Die bin ich schon wesentlich häufiger im Dunkeln runter als im Tageslicht. An der Abzweigung zum Hochbahnweg holte ich dann dcoh die Stirnlampe raus – ohne Mond ist dieser Weg wirklich dunkel und ich hatte keine Lust auf stundenlanges Vorwärtstasten.
Im Ort und am Parkplatz war keine Menschenseele unterwegs als ich Viertel vor 12 das Auto erreichte und ich beschloss, ein schönes Bad zu nehmen. Ich fuhr zum Parkplatz Echostüberl wo der See in nächtlicher Einsamkeit lag. Das bunte Getümmel tagsüber und die friedliche Stille jetzt – zwei komplett verschiedene Welten. Ich stieg ins seichte Wasser, ging weiter, bis es tief wurde. Wohltuende Kühle umfing mich, über mir funkelten die Sterne, herrlich. Für ausgedehntere Badefreuden war es zu kalt und zu spät, immerhin fahre ich eine gute Stunde vom Königssee nach Hause. Ich trocknete mich mit dem Tages-T-Shirt ab, zog was Frisches aus dem Auto an und machte ich frisch gebadet auf den Heimweg.