Über die Wasserfallscharte zum Scharegg

Blick vom Scharegg zum Wildalmkircherl

Blick vom Poneck zum Wildalmkircherl

21. August 2021

Die interessantesten Zustiege zum Steinernen Meer sind die Wasserfallscharte und die Luegscharte östlich und westlich des Selbhorns. Beide erreicht man von Maria Alm / Rohrmoos aus über den Braggstein. Ich nahm mir eine Umrundung des Selbhorns vor – die Wasserfallscharte rauf, dann über die Hochbrunnsulzen zur Luegscharte und durch diese wieder hinunter. Eine schöne und relativ lange Tour.


Leider ist die Anfahrt ebenfalls lang, zumal vor Schneizlreuth eine Straße dauergesperrt ist und ich über Reichenhall fahren muss. Ich machte in Ramseiden einen Einkehrschwung bei Bekannten. Wir wollten Heidelbeeren gegen Aprikosen tauschen, die bei ihnen im Garten üppig reifen. Nun stellte Susi gleich eine Tasse Kaffee vor mich und einen Teller Aprikosenkuchen, und da setzte ich mich erstmal zum zweiten Frühstück. Es dauerte ein Weilchen, bis ich da wieder weg kam. Ich fuhr nach Rohrmoos, grad noch eine Parklücke frei, so ein Glück. Ich stieg auf zur Lechneralm, dann durch den Bergwald hinauf zum Braggstein. Dort waren einige andere Wanderer und ich ging gar nicht erst zum Gipfelkreuz, sondern gleich weiter auf’s Rötenegg. Dort machte ich Pause. Brot mit Brie und zwei, drei von Susis Aprikosen. Lästige Ameisen gab es da, so dass ich zwischendurch den Platz wechselte. Zwei Paare mit Helmen am Rucksack waren vor mir aufgestiegen, die bogen oben am Abzweig beide nach links, Richtung Selbhorn-Klettersteig. Zur Wasserfallscharte ging niemand.

 

Ich packte zusammen, stieg auf bis zur Abzweigung und folgte dem Steig Richtung Wasserfallscharte. Nachdem ich den ersten vom Selbhornfuß herunter ziehenden Schrofengrat überstiegen hatte, waren Braggstein, Weg und Leute nicht mehr zu sehen, was für ein Bergfrieden. Um zur Scharte zu gelangen, muss man etliche Gräben und abschüssige Schrofenhänge queren. Da muss man trittsicher sein und schauen, was man tut. Bei meiner letzten Tour über die Wasserfallscharte waren in einigen Gräben noch Schneefelder mit großen Randspalten gewesen, das war sehr unangenehm. Da war es jetzt deutlich einfacher. Man hat während der Querung einen schönen Blick hinunter in das Tal des Wasserfallbachs, auf die Südabstürze von Hochstreif und Bonegg und natürlich auf die mächtige Wand des Selbhorns über einem. Am Fuß der von der Scharte herunterziehenden Schlucht machte ich ein kleines Trinkpäuschen und beobachtete dabei eine Gams, die es sich in einer schattigen Felshöhlung im Schrofenhang östlich von mir gemütlich gemacht hatte.

 

Selbhorn Südostwand

Die Südostwand des Selbhorns

 

Im Anstieg zur Scharte muss man ab hier klettern – alles unverfehlbar markiert. Man folgt zunächst einer schmalen Rinne rechts von der eigentlichen Schlucht, alles schön griffig, wunderbar. Nur an einer Stelle musste ich mich ziemlich strecken, da war meine Reichweite bisschen knapp. Dann verlässt man diese Rinne nach links über etwas geröllige Tritte und klettert anschließend weiter durch griffigen Fels, nunmehr in der Hauptrinne. Diese verlässt man ein Stück weiter oben über ein nach rechts aufwärts ziehendes schmales Band und steigt auf zu einem Geröllhang. Die Hauptrinne sieht zwar verführerisch aus, als könne man ihr easy folgen, die wird aber im obersten Stück heikel. Bisschen ungut ist dieser Geröllhang allerdings auch, sehr steil und sehr rutschig und unterhalb wartet gleich der Wandabsturz darauf, dass ein unvorsichtiger Wanderer geschlittert kommt. Nee, da ging ich lieber konzentriert, zumal ohne Stöcke.

 

 

Im Anschluss an dieses Geröllfeld kommt wieder ein bisschen schöne Kletterei, dann folgt ein Kar mit interessanten Gesteinen. Da muss ich immer genauer schauen, und immer wüsste ich zu gerne, warum die Steine so aussehen, wie sie aussehen…

 

 

Linker Hand zieht sich das Kar im leichten Bogen zu den Schuttkegeln am Fuß der Selbhonnordflanke. In ca. hundert Metern Entfernung sah ich einen großen Einschnitt zwischen Felsbänken, der weckte meine Neugierde, ich muss da oben ja in jedes Loch schauen. Ich folgte einer Störungslinie durchs Kar und kletterte das kurze Stück zu dem Spalt. Verstürzt, voller Felsbrocken, einen Altschneekeil gab es auch. Neugier befriedigt – und schöner Blick zurück über das Kar zur Scharte. Ich stieg nicht wieder ins Kar – wozu errungene Höhenmeter aufgeben – sondern weiter nach oben auf die Felsbänke und hatte nun einen grandiosen Blick über das östliche Steinerne Meer, das Mitterhörnl (Scheereck) und den Hochstreif, der mein nächstes Ziel war.

 

Blick über das östliche Steinerne Meer

Blick über das östliche Steinerne Meer

Blick zum Wildalmrotenkopf

Blick zum Wildalmrotenkopf

Hochstreif, links hinten das Poneck

Hochstreif, links hinten das Poneck

 

Ich stieg zum markierten Weg der Wasserfallscharte und dann weglos südöstlich hinauf zum Gipfel des Hochstreif, erst über Felsbänke, dann über Geröll, in welchem es Steigspuren gibt. Ich schaute hinüber zum Selbhorn. Am Südgipfel hoben sich zwei Personen wie Scherenschnitte vom Himmel ab, zwei weitere folgten dem Grat zum Nordgipfel.

 

Selbhorngrat

Selbhorngrat

 

Ich holte das Gipfelbuch aus der Schatulle und blätterte behutsam darin. Es war schon ganz schön mitgenommen, feucht und verdrückt, die Seiten klebten teilweise aneinander. Ich schrieb mich ein und packte es wieder in die Schatulle. Ich kletterte weiter, unterhalb des Grates entlang zum Bonegg (oder Poneck). Dieses hat ebenfalls ein Gipfelkreuz, ein winziges Ding aus Holz, schlicht und solide gearbeitet. Ich setzte mich zu einer kleinen Brotzeit. Von hier hatte ich einen fantastischen Blick auf die Südwand des Schareggs, des Wildalmkircherls und auf das Hochkönigmassiv. Das Wildalmkircherl, das sonst von überall her sofort erkennbar ist in seiner markanten Form, sah aus dieser Perspektive völlig anders aus. Ziehende Wolken verdunkelten es mit ihren Schatten, so dass es sich plastisch von den anderen Gipfeln abhob.

 

 

Ich betrachtete die Westflanke des Scharegg (oder Hochponeck…als ob man sich nicht auf einen Namen einigen könnte), dann warf ich einen Blick auf die Uhr. Etwas viel Zeit bei Susis Aprikosenkuchen vertan, aber Begegnungen (Susi, aber der Kuchen schon auch) sind wichtig und schön, und ich hatte schon noch Zeit, der Neugier nachzugehen…
Ich folgte dem Grat auf schwachen Steigspuren in nordöstlicher Richtung zur Flanke des Schareggs. Ich erwischte beim Aufstieg nicht so ganz die Ideallinie, aber das war wurst, das Gelände da rauf ist gut gehbar. Schließlich stand ich oben, nun direkt vis a vis des Wildalmkircherls. Bei der Biwakschachtel rührte sich was, da war jemand.Deutliche Steigspuren führten ostseitig vom Scharegg hinunter, auch im weiteren Verlauf sah das Gelände ganz gut gehbar aus. Da war ich nun schwer in Versuchung, abzusteigen, unten dem Gratverlauf des Schareggs nach Norden zu folgen, das Mitterhörnl an dessen nordseitigem Ende zu umrunden und von dort dem bezeichneten Steig zur Hochbrunnsulzen zu folgen. Andererseits… Ich schaute auf der westlichen Seite hinunter in die wilde Karstlandschaft. Die reizte mich schon auch sehr. Voller interessanter Löcher, Störungslinien, Karren… Ich war etwas unschlüssig und beschloss dann, meinem ursprünglichen Plan zu folgen und begann, mir einen Weg hinunter zu den Löchern zu suchen. (ostseitig gibt es schon auch jede Menge Löcher im Boden, aber da braucht’s dann insgesamt mehr Zeit…) Das war nicht schwierig, aber wenn’s blöd hergeht, kann man sich immer einen Fuß verdrehen oder irgendwo abrutschen, daher gehe ich, wenn ich mutterseelenallein unterwegs bin, sehr konzentriert. Ich war schon fast unten, als mir plötzlich etwas ins Auge fiel. Ein länglicher schwarzer Gegenstand. Ich hatte ja schon manchmal leere Hülsen von Rauchraketen gefunden, Überbleibsel irgendwelcher Aktionen / Übungen, aber das hier sah ganz anders aus. Ich hob das Ding auf. Ein Fernrohr. Und zwar ein ziemlich vorsintflutliches Teleskopfernrohr aus Messing. Ich nahm vorsichtig den Deckel ab – schade, aber zu erwarten – die Linse war gesprungen. Es ließ sich aber noch ausziehen, staubte ein bisschen dabei, das Messing war etwas angelaufen, sonst war das Teil in Ordnung. Eine Herstellergravur gab es nicht. Wer das wohl hier verloren hatte? Musste lange her sein. Es gibt zwar solche Fernrohre im Nachbau zu Dekozwecken – aber sowas schleppt wohl niemand da rauf. Also ein Relikt aus einer wirklich alten Geschichte, die sich leider nicht mehr nachvollziehen lässt. Ein Ötzi lag hier jedenfalls nicht herum, das war ja schonmal schön.

 

 

Nun war ich mitten in dem zerfurchten Karstgelände mit den zahllosen Löchern. Natürlich warf ich in etliche davon neugierige Blicke und auch mal einen Stein. Es waren aber alles verstürzte Höhlen und Schächte. Zumindest die, welche ich inspizierte, führten nicht in geheimnisvolle Unterwelten. Trotzdem fand ich es herrlich, dort herumzuklettern, mich an der Schönheit der Gesteine zu erfreuen und mir vorzustellen, wie hier zu den Eiszeiten Gletscherströme hindurch flossen.
Eine dunkle feuchte Erdfläche war in einzelne Segmente zerteilt wie die Haut eines Reptils. Entlang der Risse wuchs winziges gelbgrünes Moos, das bildete ein fantastisches Muster. Ich spielte eine Weile mit der Kamera dort herum. Schöne Megalodonten fanden sich da ebenfalls.

 

 

Ich hätte stundenlang in dieser Ecke herumstromern mögen, doch fehlte dafür leider die Zeit. So spazierte ich weiter in Richtung Hochbrunnsulzen. Ich durchquerte das Wasserfalltal über flache, große Platten, über Felsbänke und durch geröllige Senken und folgte dann einer Störungslinie über die Hinterbirg. In einer Eintiefung lag etwas Rotes – ein gestrandeter Luftballon. Ich stieg hinunter und holte Luftballon und Schnur, fand ein paar Meter weiter noch eine Schnur und stopfte sie in den Rucksack – die Natur braucht das nicht.
Wolkenfinger zogen die Wildalm herauf und brandeten an den Wildalmrotenkopf, die Sonnenstrahlen hatten sich berereits in die höheren Regionen zurückgezogen.

 

Wolkenschleier am Wildalmrotenkopf

Wolkenschleier am Wildalmrotenkopf

 

Viertel vor acht war ich an der Hochbrunnsulzenscharte. Auch über dem westlichen Teil des Steinernen Meeres zogen Wolkenschleier umher, trübten die untergehende Sonne und schufen eine zauberhafte Stimmung. Ein Grüppchen Schafe tummelte sich am Weg, schön anzusehen im weichen Gegenlicht. Die Sonne stand tief und würde sich demnächst verabschieden. Bis zur Luegscharte war es ungefähr eine halbe Stunde, ebenso zur Buchauer Scharte. Die ist zwar unangenehm steil und rutschig, im Halbdunkel aber doch einfacher zu gehen als die Luegscharte, so dass ich hier auf Plan B zurückgriff und mich auf den Weg in Richtung Buchauer Scharte machte. Es war bereits ziemlich duster, als ich dort ankam – man steigt von der Hochbrunnsulzen zur Wegkreuzung Brandenberger Tor zirka 200 Höhenmeter ab und hat dann zur Buchauer Scharte einen sauberen Gegenanstieg, den man nach einer langen Tour eigentlich nicht mehr bräuchte.

 

Schönfeldpitze

Schönfeldpitze

 

Ein letzter Blick zurück, dann begann ich den langen Abstieg – den ich nach einer langen Tour eigentlich auch nicht mehr bräuchte. Die Markierung – rot-weiß – ist auch bei fortgeschrittener Dämmerung noch zu erkennen und ich mag Stirnlampen nicht, weil die Wahrnehmung da auf den Lichtkegel begrenzt ist und man all das schöne Außenrum verpasst. Bis runter zu den Latschen, zwischen denen es dann definitiv zu dunkel war, konnte ich dann tatsächlich noch ohne Kunstlicht gehen. Der Mond war eigentlich noch einigermaßen gut beinander, hatte es aber mit etlichen Wolken zu tun und das Mittagwandl war auch im Weg. Von dem war also nicht viel zu erwarten. So knipste ich die Lampe an und marschierte in ihrem Licht weiter, umflattert von hektischen Nachtfaltern. Meine Knie ächzten gewaltig, trotzdem ich mit Stöcken ging – die mag ich ja auch nicht, außer bei solch rutschig-steilem Gelände wie diesem. Endlich erreichte ich die Freithofalm. Damit hatte ich das Unangenehmste hinter mir, wenn das auch insgesamt nur gut ein Drittel des Abstiegs gewesen war. Ich wollte am Brunnen hinter der Hütte Wasser auffüllen und wurde plötzlich in strahlendes Licht getaucht – ein Bewegungsmelder mitten am Berg! Ich fühlte mich ein bisschen bei irgendwas ertappt. Ich kam um’s Eck zum Trog und ein weiteres Licht flammte auf – am Herzhäuschen dahinter. Ah, da hatte sich jemand den Weg für nächtliche Gänge auf’s Örtchen bereitet. Ich füllte eine Flasche, setzte mich auf die Bank am Trog und zog die Tüte mit der Nuss-Trockenobst-Mischung hervor.

 

Freithofalm

Freithofalm

 

Frisch gestärkt stand ich nach ein paar Minuten auf – woraufhin sofort wieder das Flutlicht ansprang – ging gut ausgeleuchtet zurück zum Weg und setzte meinen Abstieg fort. Der zog sich in die Länge, auch die Forststraße zur Alm ist steil und rutschig, aber dann kam ich auf einen Waldweg, der sich zu einem Pfad verjüngte und in schmalen Serpentinen bergab führte. Da hatte ich mich schonmal gänzlich ohne Licht hinunter getastet… Inzwischen hatte es über mir auch der Mond geschafft und blinzelte durchs Geäst.
Nach vielen Windungen kam ich schließlich an der Kasereggkapelle an, wo eiskaltes Quellwasser frisch aus allen Poren der überhängenden Felsen träufelt. Moos, Nabelmiere und diverse andere feuchtigkeitsliebende Pflanzen schaffen ein ganz entzückendes kleines Paradies, vor dem ich gerne andächtig ein bisschen stehe und schaue. Meistens ist es dafür allerdings schon zu finster, so wie diesmal. Also füllte ich die zweite Flasche auf – ich freue mich zuhause immer, wenn ich noch bisschen Bergwasser habe – und überquerte den Krallerbach, der hier die Schlucht herunterkommt, zur Forststraße. Auf dieser ging ich dann bis zum Parkplatz Rohrmoos, was schon auch noch ein gutes Stück war für meine morschen Knie. Schön, wenn man sich dann auf den weichen Sitz fallen lassen kann, raus aus den Schuhen und die dampfenden Füße mit dem eigens dafür im Auto deponierten Wasser gewaschen (halber Liter reicht für zwei Füße). Noch ein bisschen zum Mond hinauf geblinzelt und ein Blick zurück auf die schweigenden Gipfel. Dann Türe zu und Motor an…