Ich liebe diese kleinen Flussabenteuer. Zwei, drei Tage mit dem Canadier einen Fluss hinunter zu paddeln, unterwegs zu campieren, Zelt, Wasser, Essen, alles dabei – wunderbar. Von der Zivilisation, die ja nie weit weg ist, sieht man oft vom Wasser aus nicht sehr viel, ein Fluss ist eine Welt für sich.
Meine Freundin Rut und ich sind inzwischen ein eingespieltes Team. Wir haben schon einige Touren zusammen gemacht und sind uns schnell einig, wo es hingehen soll. Wir haben leider nur zwei Tage Zeit und entscheiden uns für die Vils, die in meinem Bootsführer als ruhiges, sehr sauberes Wanderflüsschen in einem landschaftlich reizvollen Tal beschrieben ist. Das klingt stressfrei und ist genau, was wir gerade wollen: Eine Mischung aus Entspannung und Abenteuer.
Wir fahren schon am Vorabend bis kurz vor Amberg. Wir kommen an einigen kierfernbewachsenen alten Sandgruben vorbei und beschließen, dort irgendwo unser Nachtlager aufzuschlagen. Wir nehmen eine alte Zufahrt und bugsieren das Auto mit der Perle auf dem Dach zwischen die Bäume. Ein Pfädchen windet sich durch die Kiefern bergab und endet an einem trüben kleinen Tümpel, an dessen Ufer sich prima zelten lässt. Wir schleppen in der einbrechenden Dämmerung Zelt, Schlafsäcke und das Abendessen dorthin und schon fangen die Mücken an, uns zu piesacken. Nachdem wir das Zelt aufgebaut haben, machen wir uns über die Brotzeit her, die wir mit selbstgemachtem Erdbeerlimes abrunden. Eine Drossel flötet ganz in der Nähe. Nettes Plätzchen, das mit den Mücken ist dann doch nicht so schlimm wie anfangs gedacht. Dafür hören wir die Straße ganz schön laut, und die ist stark frequentiert. Wie unangenehm. Doch das ist nichts gegen den Güterzug, der plötzlich auf unserer anderen Seite nur fünfzig Meter weiter hinter den Bäumen vorbei donnert. Wir verschütten fast den Erdbeerlimes. Na super. Zelten an einem Tümpel zwischen Bahnlinie und Bundesstraße. Ein Volltreffer. Ich warte auf den Vollmond, doch steigen ein paar Wolken im Osten im exakt gleichen Tempo wie der Mond und lassen kaum einen Schimmer durch. Dann eben nicht. Wir sind schläfrig, was womöglich auch ein bisschen am Limes liegt, und verziehen uns ins Zelt. Der nächste Zug lässt den Boden beben. Das kann ja heiter werden – und das wird es auch. Wir machen kaum ein Auge zu, der Autolärm wird in regelmäßigen Abständen ergänzt durch vorbeidonnernde Züge.
Die Morgensonne findet uns entsprechend unausgeschlafen. Wir frühstücken jede einen Riesenberg Obst mit Müsli, das hebt die Stimmung, und vor uns liegt ja unser Paddelabenteuer. Wir bauen das Zelt ab, schleppen alles über das Pfädchen zurück zum Auto und fahren nach Amberg. Ein entzückendes Städtchen, doch die Einsatzstelle finden wir erst, nachdem ich bei der Tourist-Info nachgefragt habe. Praktischerweise gibt es dort einen großen Parkplatz, so dass wir nach dem Entladen das Auto nicht erst wegbringen müssen. Wir laden unser Zeugs ins Boot – uns los geht’s.
Wir wollen natürlich durch die sogenannte Stadtbrille paddeln – einem Wassertorbau, Teil der Stadtmauer, der die Vils in einem Doppelbogen überspannt. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einem Kirschbaum vorbei, der seine reifen Früchte bis zu uns hinunter hängen lässt, was wir sehr begrüßen und uns für den Rückweg merken. Die Stadtbrille spiegelt sich sonnenbeschienen im glatten Wasser, es ist ein wirklich prächtiger Anblick. Wir paddeln gemächlich hindurch – die Vils hat so gut wie keine Strömung – und bummeln unter weiteren Brücken und Brückchen hindurch durch die Stadt. In einigen Nischen in den Mauern neben dem Fluss brüten Tauben, die sich von uns überhaupt nicht stören lassen. Leute auf den Brücken schauen zu uns herunter, wir schauen hinauf, jeder hat so seine Perspektive.
Schließlich drehen wir wieder um und paddeln zurück, passieren wieder die Stadtbrille und bleiben ein Stück flussabwärts ein Weilchen in den Ästen des Kirschbaumes hängen. Solcherart erfrischt starten wir nun die eigentliche Tour de Vils. In diesem heutigen Abschnitt kommen wir an sehr viel Bebauung vorbei, was echt schade ist, denn der Fluss ist wirklich wunderschön. Durch die vielen Wehre hat er keine nennenswerte Fließgeschwindigkeit, doch ragen die Bäume und Büsche stellenweise weit in den Fluss hinein und spiegeln sich ganz herrlich im glatten Wasser. Blauflügelige Prachtlibellen taumeln in ganzen Scharen durch die Luft, tanzen über dem Fluss, sitzen im Uferbewuchs. Hin und wieder haben wir eine als Passagier auf dem Süllrand. Ich habe noch nie so viele auf einmal gesehen. Immer wieder treiben einzelne ihrer herrlichen schwarzblauen Flügel auf dem Wasser und bald sehen wir dieses Rätsels Lösung: Sie sind willkommene Häppchen für Bachstelzen, welche die Flügel offensichtlich verschmähen.
Das erste Wehr – mit dem klangvollen Namen Drahthammer – lässt nicht allzu lange auf sich warten und wir schicken einen tief empfundenen Dank an meinen Nachbarn, der das just beim Einladen kaputt gegangene Rad meines Bootswagens kurzerhand durch das Rad seines Sackkarrens ersetzt hat. Die Umtragestrecke ist für unseren schweren Canadier recht weit, aber mit dem Bootswagen unschwierig – es geht einen Kiesweg entlang und dann ein paar Meter über eine gemähte Wiese. Eine alte Holzplätte liegt beim Ausstieg am Wegesrand, schon ziemlich zerfallen, aber immer noch erkennt man, was für ein schönes Boot es war. Wir tragen Boot und Gepäck um, setzen wieder ein und weiter geht’s.
Wie schon erwähnt begleitet uns Bebauung an diesem Tag während eines Großteils der Strecke, aber nicht nur das: In der Tourenbeschreibung des Flusswanderführers stand etwas von „verträumt“ und „ferne Laute“. Wir hätten stutzig werden sollen, als wir auf der Karte gesehen haben, dass eine Straße sehr nah am Fluss seinem Verlauf folgt. Vonwegen „fern“ – der Straßenverkehr und da besonders die Motorräder sind nicht zu überhören und stören das Idyll des Flusses erheblich. Denn idyllisch ist die Vils an sich zweifellos, wenn sie auch in diesem Abschnitt so ihre Gerüche und Rohrzuflüsse hat. Teichrosen, Schwertlilien, Nachtschatten, Blutweiderich, Ampfer – den ich seiner riesigen Blätter wegen als Bananenstaude bezeichne – und irgendwas Gelbes, üppig Blühendes, das wir nicht kennen, säumen großzügig die Ufer. Und immer taumeln über allem Scharen von Prachtlibellen. Vor uns dümpelt eine Schwanenfamilie auf dem Fluss. Fünf fuffelige, graue Schwanenkinder drängen sich hinter der Mutter, während der Schwanenvater sich aufplustert und auf uns zu kommt. Wir halten Abstand zu seiner Familie und er hält Abstand zu uns. Ein Gentleman. Wir lassen die Schwanensippe hinter uns.
Wir tragen bei einem weiteren Wehr (Haselmühl) um, an dem ich das noch aus den 70ern stammende Balkongeländerchen ganz entzückend altmodisch finde. Ein Stück weiter kommen wir am Bergbaumuseum mit Getreidemühle Kümmersbruck vorbei. Wir machen einen Abstecher in den Mühlenkanal und bewundern die beiden mächtigen alten Mühlräder. Aus dieser Perspektive sind sie sehr beeindruckend.
Wir bummeln gemütlich weiter, die Hände werden stellenweise inzwischen etwas fühlig – sind ja das Paddeln noch nicht gewohnt und der Fluss hat wirklich kaum Strömung, da muss man schon was tun fürs Vorankommen. Immer wieder fühlen sich Enten gestört und flüchten mit Gespritze und Geflattere ein paar Meter weiter, um dann erneut Reißaus zu nehmen. Reiher erheben sich lautlos mit mächtigen grauen Schwingen aus dem Uferschilf – sie fliegen ebenfalls vor uns her, begleiten uns. Ab und zu sehen wir Eisvögel wie blitzende Edelsteine durch die Luft schwirren, manchmal verschwindet am Ufer eine kleine Wasserratte mit einem Platschen im Wasser. Wir kommen zum Wehr Theuern, welches uns den Frust des Tages beschert. Erstmal sehen wir kaum, wo es raus geht – generell ist die Beschilderung an der Vils klein, uralt und kaum zu erkennen. Dann ist der Holzsteg zum Aussteigen an der Insel zwischen Wehr und Umgehungsgerinne derart marode, dass wir ihn meiden – wir haben keine Lust, da durchzubrechen. Stattdessen laden wir alles zwei Meter vorher über die Betonmauer in die dortigen Brennesseln, was etwas mühsam ist, denn den Canadier können wir da nicht einfach über die Kante ziehen sondern müssen ihn sanft heben. Ich erkunde die Insel, ein Pfädchen führt durch den Brennessel-Dschungel, wie schön, dass sich da vor uns schon jemand durchgekämpft hat. Es ist inzwischen ganz schön heiß, ich schwitze nicht schlecht, Stechmücken beginnen einen Freudentanz um mich herum. Das Pfädchen teilt sich, führt links hinunter zum Unterwasser. Ach nee – da warten dicke Steinbrocken und es geht steil hinunter. Also folge ich dem anderen Pfädchen weiter durch Robinsons Mückenparadies, es wendet sich nach rechts und – sanft – hinunter zum Umgehungsgerinne. Schon besser. Aber weit. Immerhin müssen wir unser ganzes Gepäck einzeln tragen, denn hier hat der Bootswagen keine Chance. Wir haben genügend Essen dabei – das haben wir immer – aber ich bin glücklich, dass ich die Wassermelone zuhause gelassen habe. Es ist auch so schon eine ganz schöne Schlepperei: 10-Liter-Kanister, Zelt plus Plane, Isomatten, Schlafsäcke, Ersatzkleidung, Kocher plus Kartusche, Essen – und ein ganzer Satz Kühlakkus, die längst nicht mehr kühlen, die ich aber vor dem Start vergessen habe rauszunehmen…
Während wir mit der Schlepperei beschäftigt sind, kommen zwei Herren mit Kajaks des Weges – die hat die marode Ausstiegsplanke immerhin ausgehalten – jeweils ein winziges wasserdichtes Schraubdeckeltönnchen in der einen Hand, die leichtgewichtigen Boote locker mit der anderen hinterherziehend. Sie kommen nicht auf die Idee, uns ihre Hilfe anzubieten, obwohl ich betone, wie schwer der Canadier ist. Stoffel.
Wir schaffen es auch mit womanpower zur Einsetzstelle, wo das Wasser ein so herrliches kleines, frisch durchströmtes Becken bildet, dass wir beschließen, hier ein Päuschen zu machen und in die Fluten zu gleiten. Außer diesen beiden Nichtsnutzen haben wir keine Menschenseele auf dem Fluss gesehen, also verzichten wir auf Stoff, denn wir möchten nicht triefend weiterfahren, und stürzen uns ins doch recht kühle Nass. Herrlich! Sofort werden die Lebensgeister munter und wir tummeln uns ein Weilchen. Ein Stück entfernt führt ein Radweg vorbei, doch steht das Gras auf der Wiese dazwischen hoch, das Wasser liegt tiefer, wir haben Sichtschutz. Schließlich klettern wir zurück zu unserer Ausrüstung, schlüpfen in die Klamotten und machen Brotzeit. Die Mücken wittern uns frisch gebadet nicht mehr so gut und sind mit gelegentlichem Klatschen auszuhalten.
Wir setzen die Weiße Perle wieder ins Wasser und beladen sie. Das Umgehungsgerinne hat eine gute Strömung und gar nicht so wenig Wasser, so dass wir einsteigen und losfahren, dann aber ein seichteres Stück treideln müssen, bis wir zum Zusammenfluss mit dem Restwasser kommen.
Nun macht die Vils einen schönen Bogen nach Südwesten, welchem die Straße nicht folgt – welch herrliche Stille, hier ist sie, die Flussidylle. Eine gemähte Wiese liegt vor einem Waldrand neben dem Fluss – das wäre ein perfektes Übernachtungsplätzchen, aber es ist noch zu früh. Etwas seufzend paddeln wir weiter, wohl wissend, dass dies die einzige Stelle ist, an welcher Fluss und Straße sich nennenswert trennen.
Das nächste Wehr hat eine sehr breite Krone und liegt zum Teil unter einer Straßenbrücke. Rechts gibt es eine Fischtreppe mit großen Brocken, die sieht unschiffbar aus. Wir landen links bei einem Gasthof an und ich gehe auf die Brücke,um mir das Ganze mal von oben anzusehen. Hm. Eher aussichtslos – da führt kein Weg dran vorbei und hier über die Brücke ist erstens weit und zweitens sind auf der anderen Seite Gärten, da kommt man gar nicht an den Fluss. Nicht zum erstenmal heute denke ich an den dicken bayerischen Gewässerführer, den wir im Auto gelassen haben – wir haben ja die Tourenbeschreibung dabei, aber die ist mehr als dürftig. Also bleibt wohl nur das Umgehungsgerinne, welches nach gewissen Anfangsschwierigkeiten immerhin einen gemähten Grasstreifen am Rand hat, über den man das Boot ziehen könnte. Wir fahren dorthin und sind eben im Begriff auszuladen, als eine Frau aus einem der angrenzenden Gärten uns zuruft, dass es unter der Straßenbrücke eine Bootsrutsche gibt. Zu schön, um wahr zu sein! Wir paddeln hin und müssen lachen – die Bootsrutsche liegt komplett trocken, so dass wir doch alles ausladen und die Perle über die Betonkante der Wehrkrone heben müssen. Doch können wir sie dann wenigstens über die alten Holzplanken der Bootsrutsche hinunter ins Unterwasser lassen. Das haben wir gleich und sind höchst erfreut und fast versöhnt mit den vorherigen Schuftereien an den anderen Wehren. Wir paddeln weiter durch den Spätnachmittag in den Abend hinein.
Hin und wieder ertönt Froschgesang, es gibt immer wieder alte Flussarme, die nur der Natur gehören und fest in Froschens Hand sind.Wir dümpeln gemütlich vor uns hin, wechseln immer mal die Paddelhand, inzwischen sind beide Hände gut mit Blasen bestückt. Rechts von uns kommt ein Erlenwäldchen ins Bild. Als wir daran vorbei gleiten, sehen wir im Brennesseldickicht ein freies Plätzchen mit einem sehr lässig aussehenden Baumstammsofa. Die Straße ist nicht fern – aber das wird sie auch auf der weitern Strecke nicht sein. Wir drehen um, schauen uns das Plätzchen genauer an und beschließen, da zu bleiben. Wir laden aus, hieven die Perle mangels Anbindemöglichkeit an Land und machen uns breit. Tatsächlich scheint da öfters jemand vorbei zu schauen – die Brennesseln stehen um das Plätzchen herum undurchdringlich wie Dornröschens Hecke, doch am Uferrand und überhaupt auf der ganzen bewohnbaren Fläche wurden sie offensichtlich gemäht. Fein. Wir bauen das Zelt auf, machen es uns auf dem Baumstammsofa bequem und ich hantiere mit Kocher, Topf, Gnocchi und Tomatensoße. Ruts Handy sorgt für eine unschöne Unterbrechung der Vorfreude, denn zuhause ist was Unerfreuliches mit ihrem Auto geschehen. Auweh. Zum Glück gab es keinen Personenschaden, trotzdem ist das eine bittere Pille. Das Essen ist fertig und wir löffeln etwas still in uns rein. Rut behält dennoch ihre Freude an unserem Vils-Abenteuer, was ich beachtlich finde.
Mit der Dämmerung ergänzen zunehmend Teichfrösche den Verkehrslärm der Straße, einige Mücken naschen versuchsweise an uns. Wir schlürfen ein Gläschen Baileys als Schlummertrunk und verziehen uns ins Zelt – die vorangegangene Nacht fordert ihren Tribut.
Leider wird diese für mich auch nicht besser, ich stecke die Ohrstöpsel rein, dann nehme ich sie irgendwann wieder raus, weil sie drücken. Die Frösche wetteifern mit den Autos und ich freue mich auf mein Bett zuhause. Am Morgen schaue ich verschlafen aus dem Zelt, während Rut schon auf dem Sofa sitzt und Obst fürs Müsli schnippelt. Sie hat gut geschlafen – kaum zu fassen. Während wir frühstücken kämpft die Sonne erfolgreich gegen eine Wolkenschicht. Wir bauen das Zelt ab, packen zusammen, lassen die Perle zu Wasser, laden das Gepäck ein und dann uns selbst.
Es dauert nicht lange und wir kommen ans Wehr Leidersdorf. Es bereitet uns keine Schwierigkeiten und gleich paddeln wir wieder weiter, vorbei an einer stillgelegten Kunstmühle. Ein „Lost Place“, da würde ich ja gerne mal mit Kamera darin herum stöbern. Kurz darauf haben wir eine Slackline quer über dem Fluss vor uns, am Ufer sind wunderschöne Gärten. Wer den Weg über die Slackline nicht schafft, geht baden, sehr nette Idee. Wir legen vorher an, laden aus und tragen alles ein kurzes Stück über eine Insel ins Unterwasser, wobei wir wieder mal den Canadier über Steinbrocken hieven müssen. Das wäre mit diesen Wehren alles wesentlich easier, wenn a) die Beschilderung besser sichtbar und weniger verwittert wäre und wir b) nicht so viel Gepäck hätten. Da ist fürs nächste Paddelabenteuer noch Optimierungsspielraum…
Dasselbe Prozedere erwartet uns am Wehr Rieden, an welchem wir aber glücklicherweise das Boot über eine gemähte Wiese ziehen können.
Wir paddeln entspannt den wirklich malerischen Fluss hinunter. Die viele Bebauung um Amberg haben wir hinter uns gelassen, und wenn auch die Straße nie weit ist, so fährt da tagsüber doch nicht ganz so viel und wir haben Abschnitte, in denen wir uns wirklich mit der Natur alleine fühlen.
Wir kommen um eine Biegung und haben die nächste Schwanenfamilie in einiger Entfernung vor uns. Sofort kriegt der Schwanenmann einen dicken Hals und plustert sich zu voller Größe auf. Easy, mein Guter, wir wollen da nur vorbei… Das ist aber nicht in seinem Sinne, und als wir unbeirrt weiter paddeln, kommt er wie ein Torpedo schnurgerade auf uns zu, ein beeindruckendes Bild majestätischen Zorns. Da wir nicht wissen, was er so vorhat, sind wir durchaus ein wenig eingeschüchtert, aber hilft nichts – es gibt ja keine Umleitung. Mister Schwan umrundet uns, nun haben wir ihn im Genick. Das gibt uns auch kein besseres Gefühl, vor allem sitze ich hinten. Wir sind schon fast neben seiner Familie, der auch nichts Besseres eingefallen ist, als uns direkt in den Weg zu schwimmen, da hören wir hinter uns ein lautes „Flapp-Flapp-Flapp“ als sich der Schwanenvater aus dem Wasser erhebt und spritzend und mit mächtigen Flügeschlägen zum Angriff übergeht. Er rennt sozusagen übers Wasser, das muss ihm erstmal jemand nachmachen. Wir würden jetzt auch gerne übers Wasser rennen, stattdessen halten wir die Paddel bereit zur Abwehr dessen, was da kommt. Ich fühle mich so im Heck etwas ausgeliefert. Der erzürnte Schwan zischt knapp an mir vorbei, ich gebe ihm mit dem Paddel einen Stoß und er zieht Rut vorn im Bug mit dem rechten Flügel so halb eins über. Immerhin ist er nicht auf ihr gelandet. Er kreuzt vor uns nach rechts und wir machen uns auf einen Nahkampf gefasst. Ich drohe ihm mit dem Paddel und er hält Abstand, schwimmt wieder hinter uns. Seine Familie haben wir derweil passiert, die ist ebenfalls irgendwo hinten. Na, alles gut, dann kann er sich ja jetzt wieder entspannt den Seinen widmen. Aber Pustekuchen. Kaum, dass wir drei Paddelschläge weiter sind, hören wir hinter uns wieder das „Flapp-Flapp-Flapp“ und der nächste Angriff erfolgt. Das ist schon wirklich ein sehr mächtiger Anblick, wenn so ein großer weißer Vogel wild flügelschlagend und wasserspritzend auf einen zu rast, als gäbe es was umsonst. Wieder zischt er links an uns vorbei und zielt auf Rut, die ihn mit dem Paddel abwehrt. Natürlich schlagen wir nicht herzhaft nach ihm – schließlich wollen wir das Tier nicht verletzen, nur vom Leibe halten. Das funktioniert auch soweit, als dass er sich wiederum nicht auf einen Nahkampf einlässt, sondern wieder nach rechts kreuzt und in einem Bogen in unser Kielwasser schwimmt. Ich finde es ganz schön, nicht in einem kippeligen flachen Kajak zu sitzen… Wir paddeln weiter, Mister Schwan auch. Seine Familie ist hinter einer Biegung zurück geblieben, doch ist das für ihn kein Grund zur Entspannung. Wieder ertönt hinter uns das „Flapp-Flapp-Flapp“ seiner erneuten Attacke, die genauso abläuft wie die vorherigen. Der ist hartnäckig. Das Ganze hat so eine köstlich komische Nuance, dass wir herzhaft lachen über den Tanz mit dem Aggro-Schwan. Es folgt eine Flusschleife weiter noch eine Attacke, dann sehen wir links am Ufer eine flache Stelle voller Federn – aha, Schwanens Wohnzimmer, daher also der nicht enden wollende Grimm des Hausherrn. Als wir daran vorbei sind, folgt er uns nachdrücklich noch ein gutes Stück und bleibt dann zurück, sich immernoch aufgeplustert stolz präsentierend. Mit dem ist echt nicht gut Kirschen essen. Ich bedaure, dass ich bei dem Techtelmechtel nicht dazu gekommen bin, den Guten in voller Fahrt zu fotografieren – aber Rut weigert sich, nochmal zurück zu paddeln…
Nach dieser kleinen Aufregung erreichen wir wesentlich geruhsamer das Wehr Vilswörth, das ganz gut umtragen geht, aber im Unterwasser recht seicht ist, so dass wir erstmal ein Weilchen treideln. Macht nichts, es ist inzwischen ganz schön heiß, da plantschen wir gerne ein wenig durch die kühlen Fluten.
Kurz darauf entdecken wir rechter Hand ein schattiges Bänkchen am Ufer neben einer alten Weide, daneben sprudelt klares Quellwasser munter aus einem Bächlein in die Vils. Wir legen an und machen Mittagsrast. Nur zehn Meter davor ist eine Brücke, über die immer wieder schwer beladene LKWs rumpeln – der Basaltsteinbruch ist gleich ums Eck.
Wir sind ein bisschen träge, doch die LKWs verhindern, dass wir es uns zu gemütlich machen. Und so packen wir ein und paddeln weiter. Ohne erneut von irgendwem attackiert zu werden erreichen wir Schmidmühlen. Hier verabschiedet sich mit lautem Zischen das zweite Rad unseres Bootswagens. Der Schlauch ist komplett hinüber. Das kann ja heiter werden an den Umtragestellen, die da noch auf uns warten – vor allem Emhof. Dieses Wehr wird schon im Flussführer als unangenehm und mühsam beschrieben…
Hier jedoch brauchen wir den Bootswagen schonmal nicht. Wir landen an einer Betonmauer an, wo uns aus dem angrenzenden Garten heraus ein kleiner Hund in Spiellaune begrüßt. Ich albere ein wenig mit ihm herum. Süßes Kerlchen. Wir tragen erst das Gepäck eine Betontreppe hinunter, dann hieven wir die Perle hinterher, beladen sie – und treideln ein Stück, bis das Wasser tief genug wird, dass wir fahren können. Entspannt paddeln wir Kurve um Kurve den Fluss hinunter, den Gedanken an das Wehr Emhof ohne Bootswagen tunlichst vermeidend, und genießen die Stille, die Natur, unsere Gesellschaft.
Schließlich kommt das Wehr von Emhof in Sicht. Mit düsteren Erwartungen legen wir an einer gemähten Wiese vor dem Wehr an und ich steige aus zu einem Erkundungsgang. Eine Fischtreppe ist vorhanden aber natürlich nicht nutzbar. Doch stelle ich zu meiner ungläubigen Erleichterung fest, dass man das Boot ganz easy und flachufrig wieder einsetzen kann. Wir laden aus und ziehen es fast mühelos über das kurze Gras an der Fischtreppe entlang zur Einsetzstelle. Wir holen das Gepäck, beladen das Boot, steigen ein – fertig. Wir können es kaum glauben.
Weiter geht es durch den träg-heißen Nachmittag, das Wort „Baden“ mischt sich wiederholt in meine Gedanken, doch haben wir bis zu unserem Ziel Kallmünz noch ein ganz schönes Stück vor uns. Wir trudeln schließlich in Dieteldorf ein, wo uns das nächste Wehr erwartet. Flusswandern wäre doch echt zu schön ohne Wehre… Wir landen an und ich erkunde die Optionen. Nicht gut. Sehr mühsam, weit, brennesselbestanden, steinig. Seufzend setzen wir uns ans Ufer. Wir haben keinen Bock mehr. Die Hände tun uns ziemlich weh, da ist es kein Spaß, das schwere Boot so weit zu tragen. Wir beschließen, unsere Tour hier zu beenden, steigen wieder ein und queren den Fluss zur anderen Seite, wo es zwei kleine Stege und eine Straße gibt. Das Wohngebiet beginnt hier. Ein Mann arbeitet in seinem Garten, der könnte eventuell später helfen, das Boot aufzuladen. Aber erstmal müssen wir das Auto holen. Dazu habe ich auch überhaupt keine Lust. An die Straße stellen, Paddel in der Hand – um die Hilfsbereitschaft der Vorbeifahrenden zu aktivieren, nicht, um damit Ohrfeigen auszuteilen – und warten, bis jemand Gnädiges anhält. Ich hatte dabei schon öfters sehr nette Begegnungen mit sympathischen Menschen, manchmal stand ich aber auch deutlich länger, als meine gute Laune verkraftet. Rut hat auch keine Lust dazu, bietet mir aber an, dass sie diesen Job übernimmt – ich bin ihr sehr dankbar und gebe ihr seufzend den Autoschlüssel. Sie nimmt eine Flasche Wasser und geht zur Hauptstraße. Ich sortiere das Gepäck und beginne, mit einem Schwamm die Weiße Perle zu putzen. Dann ziehe ich mir den Bikini an und lasse mich von einem der kleinen Stege aus in den Fluss gleiten – herrlich! Ich aale mich, lasse mich flussabwärts treiben, schwimme gemächlich gegen die Strömung, so dass ich auf der Stelle bleibe. Ich habe ein etwas schlechtes Gewissen, weil Rut in der Hitze zum Auto unterwegs ist, genieße trotzdem die Abkühlung. Ich schwimme zum Steg zurück, klettere heraus, setze mich und schaue über den Fluss. Als ich trocken bin, ziehe ich mich um und da kommt auch schon mein Auto um die Ecke mit Rut am Steuer. Ging ja doch recht flott! Der Mann im Garten ist inzwischen leider verschwunden, doch kommt nach einer Weile ein Ehepaar auf Fahrrädern die Straße entlang und hilft uns netterweise beim Aufladen des Bootes.
Wir wollen uns noch ein bisschen Amberg anschauen und fahren zurück in die Stadt. Wir bummeln ein bisschen durch die zauberhaften Gassen und lassen uns dann vor einer Pizzeria nieder. Essen ohne zu kochen ist immer super. Und ein perfekter Abschluss für unser Flussabenteuerchen.