Maimond

Vollmond neben dem  Großen Teufelshorn

Vollmond neben dem Großen Teufelshorn

 

Ich bin ein bisschen mondsüchtig. Ich liebe helle Mondnächte – im Winter, wenn die Schneekristalle glitzern, und im Sommer, wenn Heuduft über die Wiesen zieht. Magisch sind besonders Vollmondnächte in den Bergen. Ich war schon zu jeder Jahreszeit auf diversen Gipfeln, um DAS Vollmondfoto zu machen – tolle Erlebnisse, schöne Fotos, aber ES war bislang nicht dabei. Nun stand der nächste Vollmond bevor und das Wetter war geradezu fantastisch gemeldet. Natürlich packte ich sofort den Rucksack, wusste auch schon, wo ich mein Glück versuchen wollte: auf der Hirschwiese, auf der ich bereits zwei Wochen vorher gewesen war und die einen wunderbaren Rundumblick bietet. Wimbachtal, Watzmann, Steinernes Meer, Königssee, Hagengebirge – da wird man gar nicht fertig mit Schauen. Früh am Morgen brach ich auf. Es war ein Donnerstag, das kam mir gerade recht, da würde weniger los sein als an einem Wochenende. – Es war NICHTS los, ich traf bis kurz vor dem Hirschwieskopf keinen einzigen Menschen, hatte das ganze Wimbachgries für mich. Da ich viel Zeit hatte, nahm ich nach dem Wimbachschloss – welches kein Schloss sondern eine einfache ehemalige königliche Jagdhütte (jetzt Berggasthaus) ist – den längeren Weg entlang des südwestlichen Arms des Schuttstroms. Das ist nun eine wilde, abgelegene Ecke und wunderschön. Die Landschaft dort erinnert mich mit den vereinzelten Spirken immer an „Tundra“… Das Gewicht des Rucksacks – inklusive Kamera, Telezoom und Stativ hatte das Messgerät gut 15 kg angezeigt – machte sich inzwischen ganz schön bemerkbar und auch mein Magen räusperte sich. Zeit für ein Päuschen. Es gibt da hinten einige Rinnen, die vom Hochkaltermassiv ins Wimbachtal herunter führen und in denen es den ganzen Sommer hindurch plätschert. Eine gute Gelegenheit, den Wasservorrat aufzustocken und das Gesicht zu erfrischen. Ich kletterte bis zu einem flachen Felsen neben dem Wasser, machte es mir dort bequem und holte die Schätze aus meiner Brotzeitdose. Augenschmaus alleine ist schließlich auch nicht alles. Ich genoss die Stille und die Sonne, doch zog es mich bald weiter. Der Schnee war hier im oberen Teil des Wimbachgries noch nicht allzu lange weg und die ersten Frühlingsblüher verliehen der rauen Landschaft Farbe.

 

 

Ich kam zur Wimbachgrieshütte, auch hier war keine Menschenseele. Ich folgte dem Schuttstrom in Richtung Hirschwieskopf, querte dessen Fuß und stieg schließlich zum Trischübel hinauf. Das wurde nun etwas mühsam und das Tempo recht gemächlich, fünfzehn Kilo sind fünfzehn Kilo. Unter mir hörte ich Stimmen – doch noch was Menschliches außer mir unterwegs hier. Noch bevor ich die kleine Jagdhütte auf dem Sattel unterhalb des Hirschwieskopf erreichte, wurde ich ausgepfiffen. Eine Murmeltierfamilie lebt dort seit ewigen Zeiten in der Abfolge ihrer Generationen – und hat die Hütte komplett unterminiert. Irgendwann sackt die einen halben Meter tiefer… Da der Hirschwieskopf doch öfters von Bergwanderern bestiegen wird, sind Murmels an menschliche Besucher gewöhnt. Der Wachtposten, der mich angekündigt hatte, verschwand nicht komplett, sondern blieb in seinem Loch unter der Hüttenwand sitzen und beäugte mich. Ich lud den Rucksack ab und machte mich auf der kleinen Wiesenfläche vor der Hütte breit – ich brauchte eine Pause. Ich zückte die Kamera und das Teleobjektiv und machte ein paar Aufnahmen von dem wachsamen Kerlchen. Leider erschienen die Wanderer, die ich zuvor gehört hatte, allzu bald und das wurde dem Murmeltier dann doch zuviel und es verschwand. Ich blieb noch eine ganze Weile, sah den Wanderern, einem Pärchen, beim Aufstieg zu und wartete geduldig, dass der pelzige Kamerad wieder auftauchen würde. Das tat er schließlich auch, blieb aber vorsichtshalber in seinem Loch sitzen, den Menschen ist ja nicht zu trauen. Ich schaute in den tiefblauen Himmel – kein Wölkchen, kein Kondensstreifen, wie wunderschön und selten.

 

 

Es zog ein bisschen und die Luft war recht kühl. Bis zum Sonnenuntergang hatte ich schon noch ein Weilchen, und so verlängerte ich die Pause – zu gucken gab es genug und oben auf der Hirschwiese war es sicherlich noch kühler. Ich stand auf  – sofort tauchte der Murmelwächter unter – und ging um die Hütte herum. Der ganze Bereich zwischen Trischübel und Hundstod lag noch komplett unter Schnee, dort war noch Winter. Ich schaute in die Runde, dann packte ich zusammen und machte mich an den Aufstieg. Vor zwei Wochen war das steile Schneefeld, das im Frühling länger liegt und beim Aufstieg gerne Probleme macht, noch recht groß gewesen und hatte Probleme gemacht. In weiser Voraussicht hatte ich da Grödeln mitgenommen und dankbar genutzt – die hatte ich nun zuhause gelassen, es war auch so genug Gepäck und die Sonne hatte zwei Wochen Zeit gehabt. Und richtig kam man jetzt ohne weiteres an dem Schneefeld vorbei. Kurz danach kam mir das Pärchen im Abstieg entgegen. Wir wechselten ein paar nette Worte. Am Gipfelaufbau hatte ich vor zwei Wochen eine braune Kreuzotter gesehen, die sich eilig verschlängelt hatte. Ich vermutete, dass sie da irgendwo wohnte. Ich holte meine Kamera heraus und machte sie schussbereit. Dann ging ich langsam und wachsam weiter. Doch obwohl ich die Stelle der Begegnung in dem Schrofengelände wiederfand, war dort kein Schlänglein. Also nicht. Ich stieg weiter bergan und sah nach drei Schritten plötzlich vor mir ein kleines braunes Häuflein im Gras – fein säuberlich aufgeringelt lag dort die Kreuzotter. Leider war sie wiederum schneller als ich und hatte sich im Gras verhuscht, bis ich mit der Kamera soweit war. Generell ist es ja für beide Seiten gut, dass diese Tiere so wachsam sind…

Ich kam auf die Hirschwiese. Da bleibt einem jedesmal ein wenig die Spucke weg, auch wenn man schon öfters oben war. Man hat vor sich mit einem mal eine liebliche ebene Wiesenfläche und dahinter, mit einer Schlucht dazwischen, die Südspitze des Watzmann, einen Teil der Ostwand und die komplette Familie. Da muss ich jedesmal stehenbleiben und erstmal schauen. Ein Teil der Hirschwiese lag noch unter Schnee und ich stapfte hindurch zum Nordrand, an dem das Gipfelkreuz steht. Von dort hat man den besten Blick auf die Watzmannfamilie und auf ein Stück des Königssees. Unbewegt und ungestört lag er tief unter mir. Keine Schifffahrt, Corona-Pause. Mein Blick schweifte weiter, über den See hinweg zur Gotzenalm und zum Hagengebirge mit all den vertrauten Gipfeln: Fagstein, Hochlafeld, Kahlersberg, Wildpalfen, die markanten Teufelshörner. Und dann weiter zum Steinernen Meer, in welchem noch ganz gut Schnee lag. Die Schönfeldspitze dominiert dort alles.

 

 

Ich ging über die Wiese zu deren westlichem Rand, wo der Hirschwieskopf senkrecht zum Wimbachgries abfällt. Dort gibt es eine Spalte zwischen zwei Felsblöcken – der perfekte Vordergrund, zumal dort noch ein kleines Schneefeld in eleganter Kurve lag. Die Sonne näherte sich erst so allmählich den Gipfeln im Westen, ihre Strahlen konkurrierten mit ein paar hohen Schleierwolken und dem doch recht kühlen Lüftchen hier oben. Ich setzte mich also ein Stück vom Rand entfernt ins Gras und kramte nochmal in der Brotzeitdose. Ich hatte mir ein paar Leckerbissen für diesen Moment aufgehoben, die genoss ich jetzt zusammen mit dem Panorama.

 

Blick ins Wimbachgries

Blick ins Wimbachgries

 

Ich fröstelte etwas und zog mir was über. Ich trödelte dann ein bisschen am Rand der Wiese entlang, beobachtete die wechselnden Schatten auf den Watzmannkindern, das matter werdende Licht auf den Gipfeln ringsum. Ich suchte mir eine gute Position für mein Vollmond-Aufgangs-Foto und packte das Stativ aus. Ich wusste ja nicht, wo der Mond aufgehen würde. Ich hatte im Februar 2019 den Mondaufgang vom Seehorn aus fotografiert – da war er etwas enttäuschend genau über dem eher formlosen Schneibstein aufgegangen. Die Hirschwiese liegt so ziemlich genau dazwischen. Hm. Phänomenal wäre natürlich über den Teufelshörnern, aber die waren ein ganzes Stück weiter rechts. Nunja – ich würde sehen. Erstmal jedoch hieß es warten. Die Sonne stand tiefer, es wurde kälter, aber bis zum Mondaufgang waren es noch eineinhalb Stunden. Ich zog alle verfügbare Kleidung an – hätte mehr sein können – und begann, ein wenig umherzustapfen. Dabei erschreckte ich eine Gams, die von den Hängen heraufgestiegen war. In großen Sprüngen verschwand sie. Ich stapfte weiter umher, fröstelnd. Kauerte mich hinter einen kleinen Felsriegel, der den Wind weitgehend abhielt. Dann stapfte ich wieder ein bisschen. Endlich wurde das Licht weicher. Die Sonne sank, bald verschwand ihr Schein auf den Gipfeln, nur die höchsten hatten noch orange Spitzen. Die Teufelshörner leuchteten, es sah fantastisch aus. Ich fotografierte hingerissen. Welch ein Anblick!

 

 

Halb Acht. Das letzte Leuchten verglomm, nun müsste doch irgendwo der Mond…  

Und da erschien ein heller Rand, genau über dem Eisgraben neben dem Großen Teufelshorn, wo eben die letzten Sonnenstrahlen verblasst waren. Ich konnte es kaum glauben, hatte das gar nicht zu hoffen gewagt. Lautlos stieg er auf, stand in voller Größe neben dem Teufelshorn. Ich fotografierte und schaute und wurde gar nicht satt von diesem stillen Wunder in der einsamen Bergwelt…

 

Mondaufgang über dem Eisgraben

Vollmond neben dem Großen Teufelshorn

Vollmond neben dem Großen Teufelshorn

 

Ich blieb ziemlich lange, dann packte ich die Ausrüstung zusammen und machte mich an den Abstieg. Für den doch ziemlich steilen Steig nahm ich die Stirnlampe, was ich sonst gerne vermeide. Ich kam an der Jagdhütte vorbei, unter der die Murmel-Großfamilie selig schlummerte. Beim Abstieg vom Trischübel zum Wimbachgries kam ich zu einem Aussichtspunkt und war erneut hingerissen. Man schaut dort weit über das Wimbachgries hin. Das Tal lag unter mir in silbernem Licht, wie eine Bühne, begrenzt vom Hochkaltermassiv und dem Watzmann. Ich setzte mich ein paar Minuten auf die Bank. Ich hatte überlegt, das Stativ nochmal herauszuholen, doch reichte das Licht nicht zum Fokussieren, auch manuell nicht. Schade, aber manches ist in der Erinnerung bestens aufgehoben. Kein Foto kann das Erleben konservieren. Ich ging schließlich weiter und stieg vollends ab ins Gries. Hier konnte ich nun ohne Stirnlampe im Mondlicht weitergehen. Meine Schritte im Geröll klangen laut durch die stille Nacht. Irgendwo scheuchte ich eine Gams auf, ich hörte sie davonrennen, dann war es wieder still. Der Weg zog sich. Der Rucksack wog immernoch 15 Kilo. Oder 14 1/2, ohne Brotzeit. Egal. Meine Beine wollten allmählich nicht mehr und meine Fußsohlen brannten. Ich kam zum Wimbachschloss. Mitternacht. Ein Auto stand dort, im Haus war noch Licht. Ich sah durchs Fenster zwei Männer mit ihrem Bierchen in der Stube sitzen. Na, die würden heute wahrscheinlich nicht mehr zurück fahren. Schade. Ich ging weiter, es wurde zäh. Bei jeder Bank fühlte ich mich versucht, mich hinzusetzen, hinzulegen. Nur ein paar Minuten. Aber dann wäre das Weitergehen umso härter. Ich lauschte immer mal nach hinten – vielleicht käme das Auto ja doch…? Es kam nicht. Ich quälte mich müde durchs Tal von Wegpunkt zu Wegpunkt – hier ist der große Stein, jetzt bin ich an der Mauer, jetzt gleich an der Klamm… und kam um kurz nach Eins am Parkplatz an. Ich lud erleichtert den Rucksack ein – und genau da kam ein Auto hinter mir den Berg herunter…