Lost in Altmühltal

Altmühl Nähe Wehr Hagenacker

Die Altmühl beim Wehr Hagenacker

Einsam auf der Altmühl? Wenn mir das jemand erzählt hätte, hätte ich gelacht. An warmen Sommertagen braucht man nämlich sozusagen gar keine Brücke, um über den Fluss zu kommen – man steigt einfach von Boot zu Boot… Sozusagen. Wir hatten unsere diesjährige Paddeltour auf Ende August gelegt, Ziel war die Altmühl. Ende August ist da nicht mehr ganz so viel los, außerdem fuhren wir unter der Woche und vor allem – wir könnten mit den Fahrrädern am Fluss entlang zum Auto zurückfahren. In Corona-Zeiten wäre per Anhalter wohl schwierig, auch wenn wir am Straßenrand mit Maske und Impfausweis wedeln würden. Wir überschlugen die Etappen und stellten die Fahrräder in Arnsberg am Fluss ab. Dann fuhren wir nach Solnhofen und setzten dort am Kloster ein.

Wir hatten kaum die Paddel ins Wasser getaucht, kamen wir auch schon ans erste Wehr an der Solnhofener Mühle. Alles wieder ausladen – die Essenskiste wie immer am schwersten – Boot umtragen, alles wieder rein, weiter ging’s. Die Altmühl lag glatt und spiegelnd vor uns – sie hat ja keine nennenswerte Strömung. Andere Paddler waren aufgrund des halbscharigen Wetters nur so zwei, drei unterwegs, die wir bald hinter uns ließen. Wir hatten den Fluss für uns – so ein Glück! Die Altmühl ist ausgesprochen lieblich. Das Ufer war gesäumt von Pfeilkraut, überall schaukelten Enten, Reiher schwangen sich in die Luft, Eisvögel flirrten übers Wasser, Libellen tanzten. Alte Weiden streckten ihre Äste übers Wasser, Felsformationen spiegelten sich darin, wir waren ganz verzaubert. Eines der landschaftlichen Highlights kam in Sicht, die Felstürmchen der zwölf Apostel in den Jura-Trockenhängen des Tales. Wir glitten entzückt daran vorbei.

 

Unsere Gedanken wanderten immer öfter zu dem Kaiserschmarrn, der in einer großen Dose im Korb ruhte.
Wir passierten Esslingen und fanden kurz danach eine schöne Picknickstelle am linken Ufer. Wir legten zügig an, breiteten die Decke aus und stürzten uns auf den Kaiserschmarrn. Die Menge war für knapp vier Personen konzipiert gewesen, wir schafften sie nicht ganz. Aber für die erste Pause war das schonmal ein recht ordentlicher Einstieg. Etwas schwerfälliger schoben wir die Perle wieder ins Wasser und paddelten weiter. Ohne Armschmalz geht auf der Altmühl nichts, aber das kannten wir ja schon von vorherigen Touren. Wir genossen die Einsamkeit und auch die Stille, denn der Fluss macht dort eine ausladende Schleife nach Süden, welche die Bahnlinie über zwei Brücken und durch einen Tunnel hindurch geradewegs abkürzt.
Zwischendurch tröpfelte der Himmel ein bisschen auf uns hernieder, meinte es aber nicht ernst und ließ es wieder bleiben. Wir näherten uns dem Wehr Hammermühle, welches ich in bester Erinnerung habe. Es hat im rechten Drittel eine Bootsgasse, durch die es flott hinunter geht, hinein in eine schöne Welle. Aus früheren Erfahrungen wusste ich, dass man vorne ziemlich nass wird und warnte Rut dahingehend vor. Die zog ein bisschen was aus und ihren Regenponcho an. Da ich vom Boot aus nicht genau sehen konnte, wo die Bootsgasse genau war – man möchte sowas ja geradlinig anfahren – legten wir erstmal an und ich ging vom Ufer aus gucken. Alles klar, wirklich eine sehr schöne Welle unterhalb. Ich stieg wieder ein, wir legten ab, fädelten in die Rinne ein und sausten hinunter – Huiiii! Wir trafen auf die wartende Welle und ein kräftiger Schwall klatschte auf Rut hernieder, fand auch den Weg unter ihren Poncho und durchweichte sie weitgehend. Ich bekam auch einen nassen Fleck aufs rechte Hosenbein. Rut beschwerte sich natürlich und jammerte, meine Güte, ist doch bloß Wasser..!
Es war einiges herein geschwappt, so dass wir ein paar Meter weiter am Ufer hielten, unsere Emailletassen hervorholten und ein Weilchen schöpften. Rut zog bisschen was Nasses aus und bisschen was Warmes drüber, die erfriert ja immer gleich. Ich ertrug den nassen Fleck auf meiner Hose geduldig.


Der Himmel bemühte sich beim Weiterpaddeln um etwas Freundlichkeit und schickte einige Sonnenstrahlen, in denen wir uns aalten. Dann kamen wir ans Wehr Hagenacker, welches ebenfalls über eine rasante Bootsrutsche mit gleich zwei schönen Wellen hintereinander verfügt. Eingedenk der Schöpfaktion nach dem Wehr Hammermühle verzichteten wir auf eine Befahrung, bei Rut spielten womöglich noch andere Gründe eine Rolle. Der Himmel schmollte und hatte sich schon wieder grau überzogen. Wir legten an, luden aus, trugen das ganze Zeugs ein kurzes Stück über eine matschige Grünfläche zur Einsetzstelle. Ein älterer Herr kam mit dem Rad, war dann mit einigen Flaschen zugange und fragte mich leutselig unseres Wohers und Wohins. Dann deutete er auf einen hellgrauen Schleier, der ein Nebental entlanggezogen kam, und meinte „das kommt gleich“. Und so war es auch. Ich hatte meine Regenjacke noch nicht halbwegs an, als sich kräftiger Regen über uns ergoss. Wir flüchteten unter einen leider etwas dünn belaubten Baum. Dort harrten wir fröstelnd aus, bis die Wolke genug von uns hatte und von uns abließ. Der blaue Himmel und mit ihm das Sönnchen kehrten wieder.


Wir setzten unsere Fahrt fort. Wir näherten uns einer malerischen Felsformation, der „Hölzernen Klinge“, bei welcher meine Neugier uns anlanden ließ. Über einen toten Baumstumpf kletterte ich zu den Felsen, die eine interessante Höhlung haben, in welcher sich eine (sicher illegale) Feuerstelle befindet. Zahlreiche Kletterhaken überziehen die Felstürme. Interessanter, schöner Ort. Und direkt dahinter die Bahnlinie…

Meine Neugier befriedigt, kletterte ich wieder ins Boot und wir schipperten weiter, an einer Frau auf einem SUP vorbei nach Dollnstein. Das Altmühltal hat ja viele sehenswerte Besonderheiten und Dollnstein ist eine davon. Es ist alt – 1007 erstmals urkundlich erwähnt unter dem Namen Tolunstein, damals eine auf einer schmalen Felsbank errichtete Burg mit Wallanlage. Von dieser Hauptburg sind nur noch Spuren erhalten, die später ergänzte Ringmauer mit Tor und Teilen der Vorburg ist jedoch noch komplett und vom Fluss aus bestens zu sehen. Die Gebäude der Vorburg beherbergen heute ein Museum, in welchem es auch einen Silberschatz mit fast 3000 Münzen zu bewundern gibt. Wenn es die Zeit bei der Radl-Rückfahrt zuließe, wollten wir uns Dollnstein näher ansehen. Nun aber war es inzwischen schon ziemlich abendlich geworden, wir brauchten ein Plätzchen für die Nacht und hofften dieses in Breitenfurt zu finden, wo es einen Campingplatz direkt an der Altmühl gibt. Viel Hoffnung auf Nachtruhe hatten wir nicht, denn parallel zum Fluss donnerten in schöner Regelmäßigkeit lange Güterzüge vorbei. Immerhin blieb der Himmel einigermaßen freundlich. Wir paddelten in weiter Schleife um den markanten Burgsteinfelsen herum. Wie die anderen Felsen in den Trockenhängen des Tales auch – sämtliche Apostel z. B. – ist er Teil eines ehemaligen Schwamm-Riffs des Jurameeres. Die während der Eiszeiten hier fließende Urdonau nagte an den Felsen der sogenannten Prallhänge und tiefte das Ganze ein, während sie an den Gleithängen Sedimente ablud. Später entschloss sie sich, lieber weiter südlich zu fließen und hinterließ das gewaltig breite Tal, durch das sich heute die im Vergleich recht dünne Altmühl schlängelt…
Auf der Ostseite des solchermaßen angenagten Burgsteinfelsens liegt die Bubenrother Mühle mit einer extrahässlichen Staustufe. Wir luden mal wieder aus und sahen uns um. Und erkannten die Gunst der Lage: Durch das laute Rauschen des Wassers waren die Güterzüge kaum zu hören. Wir befanden uns an einer offiziellen Umtragestelle, würden uns also nicht mitten in der Natur breit machen, und waren dennoch schön weit weg von den Dörfern. Die Mühlengebäude lagen ein gutes Stück entfernt auf der anderen Flussseite hinter Bäumen und waren nicht zu sehen. Sehr zufrieden ließen wir die Perle hinter dem Wehr zu Wasser und vertäuten sie, dann fegte ich mit den Schuhen das Geröll von den oberen Stufen der Einstiegstreppe und breitete die Kochsachen aus. Ich kochte Vollkornnudeln, die wir mit Soße aus dem Glas und etwas Reibekäse geschmackig machten. Vorher gab es Gurke aus Ruts Garten. Ich nutzte das heiße Nudelwasser, um mir ein Tässchen löslichen Kaffee zu machen. Geht schon. Die Sonne versank hinter dem Burgsteinfelsen, während wir uns mit Nudeln vollstopften. Dann war es Zeit, das Zelt aufzustellen, bevor es finster wurde. Das hatten wir gleich und dann wurde es gemütlich. Rut holte zwei Marmeladengläschen mit irgendeinem beerigen roten Feuerwasser hervor. Zum Verdünnen entkorkte sie eine Miniflasche Sekt. Wir verdünnten also den Alkohol mit Alkohol und prosteten uns zu. Puh. Starker Tobak. Die prozentige Beerenmischung hatte sie von einem Freund geschenkt bekommen. Also mir müsste man die nicht schenken, aber sie machte uns warm ums Herz und alles wurde gleich viel heiterer. Für die Romantik zündete ich in einem weiteren Glas ein Teelicht an. In der Ferne fuhr ein hell erleuchteter Personen zug vorüber. Wir saßen noch ein Weilchen, doch waren wir nun reichlich müde und Rut hatte schon alle verfügbaren trockenen Schichten angezogen und fröstelte trotzdem, so dass wir beschlossen, den Tag zu beenden. Der Himmel war im Laufe des Abends immer klarer geworden, Mücken gab es nicht, Schnecken auch nicht, und so breitete ich Matte und Schlafsack im Gras aus. Sternenzelt halt. Rut verkroch sich im Zelt in den Daunen, ich mich im Freien in den Kunstfasern, das Wasser rauschte, die Nacht war da und wir entschlummerten sanft.

Natürlich wurde es eine recht unruhige Geschichte. Diese Matten sind einfach dünn, der Boden ist hart, Rut hatte kalte Füße. Nebel zog auf, der Mond leuchtete durchs Geäst der Bäume am Ufer. Schön. Am Morgen war natürlich alles klatschnass. Das Gras, das Zelt, der Schlafsack. Aber der hält das aus und die Morgenstimmung war fantastisch. Der Nebel waberte und darüber stand noch der Mond, der allmählich verblasste, als es hell wurde. Wir krochen aus den warmen Verpackungen. Unangenehm kalt und feucht. Wir verschoen das Frühstück auf später, denn obwohl sich die Sonne bereits über die Hangregionen tastete, würde sie uns doch noch lange nicht erreichen. Wir packten zusammen, beluden die Perle, die erwartungsfroh im Unterwasser des Wehres tänzelte, und legten ab. Der Fluss dampfte, die Sonne blitze durch die Bäume, es war friedlich und zauberhaft.

Wir glitten an Breitenfurt vorbei. Die Sonne lachte vom strahlend blauben Himmel. Ein paar hundert Meter weiter erblickten wir linksufrig einen Tisch und zwei Bänke -perfekt fürs Frühstück. Das Ufer war allerdings glitschig steil und das Aussteigen ein gewisser Balanceakt, vor allem mit der großen Futterkiste in Händen. Ich nahm auch Schlafsack und Isomatte mit und breitete sie zum Trocknen über die Bänke. Dann schritten wir zur Tat. Ich machte Wasser heiß für den Morgenkaffee, Rut schnippelte Obst fürs Müsli. Wie immer war ihr Teller zu mickrig und ihre Portion fast überbordend, in meinem Tellerchen hatte alles gut Platz. Wir hauten rein, sonnengewärmt, die Welt war in Ordnung. Leider ist Glück auf dieser Welt nicht von langer Dauer. Unseres trübte sich durch die aktualisierte Wetterprognose. Dieses winzige Zwischenhoch würde wohl nicht mal mehr bis zum nächsten Vormittag Stand halten. Schon ab morgens war nun Nieselregen gemeldet. Kaum zu glauben bei diesem strahlenden Sonnenschein, aber das brachte nun ein Problem mit sich: Unsere Fahrräder standen in Arnsberg, gute dreißig entfernt. Das hieß nun, entweder heute durchpaddeln, mit den Rädern zurückfahren, das Auto holen und trocken bleiben, oder heute gemütlich weitermachen, zelten und morgen im Regen die verbleibende Strecke paddeln und ebenfalls im Regen nach Solnhofen radeln. Ganz toll. Ich entschied mich für „paddeln“, Rut für „mal sehen, wie weit wir kommen“.

Müsligestärkt packten wir zusammen, schlitterten über den Hang ins Boot und paddelten weiter. Eine Strömung, die diese Bezeichnung auch verdient, gibt es auf der Altmühl so gut wie gar nicht, man meint ständig, im Rückstau eines Wehres zu sein. Jeden Hauch einer Fließbewegung begrüßten wir begeistert. Dafür hat sich herrliche Spiegelungen, üppigen Bewuchs in den Uferregionen und Scharen tanzender Prachtlibellen. Zahlreiche Enten dümpelten zwischen Ufergeäst, hielten auf einem Bein ein Nickerchen oder schnäbelten nach Leckerbissen. Und alle waren sie weiblich. Wenn die Erpel an der Altmühl nicht eine krasse optische Wandlung vollzogen haben, war von Solnhofen bis Arnsberg kein einziger darunter, der sich uns gezeigt hätte. (Inzwischen habe ich recherchiert – die Männchen tarnen sich im Sommer tatsächlich und bekommen erst zum Winterhalbjahr wieder ihr Prachtkleid. Es ist auf der Altmühl also doch nicht nur Weibsvolk unterwegs, nur in meinem Boot ist das so.) Wir paddelten, der Morgen wich dem Mittag und wir paddelten. Zwischendurch nahm ich ein kurzes Bad. Wir kamen an Obereichstätt vorbei, dann an Wasserzell, dann zum Wehr Rebdorf. Ausladen, Boot raushieven, umtragen, einladen weiterpaddeln. Wir hatten inzwischen Übung, da ging das recht flott. Mühsam war das Umtragen trotzdem immer. Wir näherten uns Eichstätt und bekamen einen schönen Blick auf die Willibaldsburg oberhalb der Brauerei Hofmühl.

Wir umrundeten die Burg gemächlich in einer großen, trägen Schleife. Wir kamen zum Wehr Willibaldsbrücke. Ausladen, ein klitzekleines Stück umtragen, einladen, weiterfahren. Jetzt wurde das Ambiente deutlich städtischer. Vorbei die verträumte Idylle, Verkehrslärm umgab uns nun. Wir paddelten weiter und fanden uns plötzlich vor einer gesperrten Brücke. Durchfahrt verboten, da wurde dran gearbeitet. Heute zwar nicht, da hätten wir uns gut unter dem Eisenträger durchmogeln können, aber an den Ufern war zuviel los – also brav sein. Zähneknirschend luden wir also schon wieder aus, trugen schon wieder um – und zwar ein ganz ordentliches Stück, da waren wir sehr froh um den Bootswagen. Als wir wieder im Kanu saßen, wurden wir immerhin mit einem sehr schönen Blick auf die recht malerischen Häuser am Fluss belohnt. Wir glitten lautlos unter dicken alten Bäumen dahin. Eine Biene zappelte im Wasser und wir fuhren eine Schleife und fischten sie raus, die Honigsammlerin. Bevor wir sie noch auf einem sonnenbeschienenen Kastanienblatt absetzen konnten, surre sie schon davon. Und dann waren wir auch schon am Stauwehr Aumühle. Also nocheinmal: Anlanden, ausladen, umtragen, einladen, weiterfahren. Die Hände taten uns schon ganz schön weh, sind das ja nicht gewohnt. Allmählich ließen wir die Stadt mit ihrer lärmenden Betriebsamkeit hinter uns. Nun lag bis zum Endpunkt unserer Strecke nur noch ein Wehr vor uns, und bis dahin war es noch weit. Ein Hungergefühl hatte sich inzwischen breit gemacht und wir hielten Ausschau nach einem netten Plätzchen. Wir fanden es unter einer mächtigen alten Weide und machten uns auf der Picknickdecke breit.

Brot mit Käse, Tomätchen und Walderdbeermarmelade. In der Sonne wurden wir ein wenig schläfrig, doch für zuviel Geruhsamkeit war keine Zeit, außderdem führte hinter der Weide ein Weg vorbei, auf dem sich Radfahrer und Hundeführer tummelten. Wir rappelten uns also etwas seufzend hoch, packten ein und stiegen wieder ins Boot. Auf dem Fluss waren wir wieder wunderbar alleine mit den Enten. Eisvögel stoben hin und wieder aus dem Ufergebüsch, flirrten übers Wasser und verschwanden, um kurz darauf wieder hervorzuschießen. Wir paddelten. Kurve um Kurve, Kilometer um Kilometer. Es war bereits gegen 16 Uhr, als wir Pfünz erreichten. Die mittelalterliche Brücke schimmerte schon von weitem durch die Äste. Ein wirklich besonderes Bauwerk, das seinen urtümlichen Charakter behalten hat. 1432 erstmals urkundlich erwähnt – die hat schon viel erlebt.
Ein kleiner, feiner Brückenschwall schob uns freundlich darunter hindurch. Kurz kamen die Türme des nachgebauten Römerkastells von Pfünz in Sicht und ich dachte an den Sommerabend vor vielen Jahren, als meine Freundin Margit mit ihrer Familie in Pfünz wohnte und wir im Schein des Vollmonds beim Römerfest oben auf dem Wehrgang bei Wein und Gelächter mitfeierten…

Wir paddelten weiter, die Arme schwer, und immernoch etliche Kilometer vor uns. Von links sprudelten einige frische kleine Karstquellen in den Fluss, auch eine Besonderheit des Altmühltales. Wir passierten Inching, das ein entzückendes Barockschlösschen direkt am Fluss hat. Nette Leute winkten uns. Ein Schild besagt, dass man darin eine Ferienwohnung mieten kann. Wir paddelten weiter und kamen zum letzten Wehr dieser Flusstour in Walting. Ein letztes mal die Perle raushieven, umtragen, einsetzen und den ganzen Krempel hinterher. Wir paddelten weiter, meine Hände waren inzwischen ganz schön fühlig. Wir glitten an den Resten der Wasserburg von Rieshofen vorüber. Viel ist davon nicht mehr übrigen, ein paar Mauerreste und der Hungerturm genannte Bergfried, welcher allerdings markant und trutzig von seiner künstlichen Insel herunter schaut. Den etwas schaurigen Namen erhielt er, nachdem 1689 ein Dieb und Hehler zum Tode verurteilt und ins Turmverließ geworfen wurde, wo man ihn verhungern ließ.
Wir passierten Pfalzpaint, dessen Name sich auf eine Brücke (pont) zum Pfahl (Limes) zurückführen lässt. Dann kam die Wacholderheide von Gungolding in Sicht. Erinnerungen an frühere Abenteuer eben dort kamen uns in den Sinn. Jetzt war es nicht mehr weit. Noch eine Kurve und die Ruine/Burg Arnsberg blickte von ihren Felsen auf uns herab.

Wir mobilisierten die letzten Kräfte in den Ärmchen für die letzten zweieinhalb Kilometer und landeten um halb acht am Bootsrastplatz Arnsberg an. Geschafft. Und unsere alten Drahtesel standen auch noch brav da. Von Westen schob sich eine Wolkenfront heran, Regen war aber erst für die frühen Morgenstunden gemeldet. Die ließ uns also momentan kalt, bestätigte uns aber in unserer Entscheidung, heute noch das Auto zu holen. Wir hoben die Perle aus dem Wasser, legten sie im Gras umgedreht auf den Süllrand und schoben das Gepäck darunter. Ich hatte einen winzigen Radelrucksack dabei, da hinein packte ich Geldbeutel, Stirnlampe, Powerbank und Autoschlüssel, das Handy steckte ich in die Halterung am Lenker. Gegen acht waren wir bereit zur Abfahrt, Dämmerung senkte sich herab. Und hier begann es nun, interessant zu werden.

Der Radweg am Fluss wäre eine Strecke von knapp 50 Kilometern gewesen, Google bot uns eine Alternative über 37 Kilometer an, zwei Stunden fünf Fahrzeit, super. Wir traten in die Pedale und sausten los. Alles flach, 22 Kilometer pro Stunde, prima. Es dunkelte merklich, aber wir waren ja auf dem Radweg, kein Grund zur Sorge. Wir fädelten durch Walting, das Handy und Mr. Google waren schon hilfreich, wir hätten die Beschilderung sonst bisschen suchen müssen. Wir verließen Walting auf einer Verbindungsstraße und waren froh, von dieser nach ein paar hundert Metern wieder abzubiegen. Wir fuhren ohne Licht und ohne Helm – letztere hätten wir im Boot mitnehmen müssen und da hatten wir schon genug Zeugs. Und wir wollten ja im hellen Sonnenschein radeln. Nun radelten wir also im Dunkeln, und erstaunlicherweise führte Google uns weg vom Flusstal und hinein in den Wald, immer stetig bergauf. Uns wurde recht warm und das Tempo sank bis auf 6 Kilometer pro Stunde. Der Kies war hell, noch ging es auch im Wald ohne Stirnlampe. Gut eineinhalb Stunden bis Solnhofen, da hatten wir noch was vor uns. Wir trampelten uns durch die Dunkelheit, irgendwie war es ja schon schön. Ein Anstieg nach einer Rechtskurve, fester reintreten – Rut blieb hinter mir, hatte sich verschaltet. Aus dem Dunkeln kam ihre Stimme – mit dem Rad stimmte was nicht. Die Stirnlampe bestätigte ihre Vermutung – Kette gerissen, auch das noch. Da standen wir nun. Rut blieb nur schieben. Wir entschieden, dass ich alleine weiterfahren und sie bis zum nächsten Ort schieben und dort warten würde. Ich bot ihr meine Powerbank an, aber ihr Akku hatte noch genug Saft. Ich holte meine Stirnlampe heraus, trat in die Pedale und ließ Rut alleine im finsteren Walde zurück. Ein Pappenheimer verloren, einer noch im Rennen. Nach einer Weile kam ich nach Buchenhüll – gar nicht so dramatisch weit für Rut, Deutschland ist ja dicht besiedelt, gute Überlebenschancen. Ich fuhr zwischen Feldern daran vorbei, kam auf eine Verbindungsstraße – hier wollte ich das Rücklicht einschalten, ging natürlich nicht. Hatte ich auch schon Jahre nicht mehr benutzt. Ich war froh, als Google mich von der doch gut befahrenen Straße weg wieder auf Feldwege schickte, auch wenn ich dort natürlich langsamer voran kam. So ging es weiter, bergauf, bergab, durch Wald und Flur. Bauern arbeiteten noch mit ihren riesigen Maschinen, die hatten den Wetterbericht auch gelesen. Ich fuhr auf einem kaum erkennbaren Grasweg, ich fuhr auf belebten breiten Straßen, wo die meisten Autofahrer einen großen Bogen um mich machten. Ich fuhr durch einen Kreisverkehr, an Steinbrüchen vorbei und durch schwarzen Wald. Ich war eben aus einem solchen aufgetaucht, zwischen ein paar Feldern, als auch mein Handy plötzlich schwarz wurde und Mr. Google mich verließ. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Zweiter Pappenheimer verloren. Ich wurde einen Hauch nervös. Nirgends ein Lichtlein in Sicht. Zum Glück war nur der Akku leer – hätte bei meinem betagten Handy auch Altersschwäche sein können – und glücklicherweise hatte Rut meine Powerbank n i c h t gewollt. So stand ich also in finsterer Nacht im Nirgendwo, im Lampenlicht funkelten kleine Augen um mich herum und ich wartete darauf, dass mein Handy wiedererwachen würde. Das tat es letztendlich. Aber ein kompletter Neustart erfordert die spezielle PIN zum Entsperren, und ich und Zahlen…
Natürlich tippte ich falsch. Ich wusste die Zahlen, aber nicht die Reihenfolge und tippte nochmal falsch. Nur noch ein Versuch, dann wäre das Handy gesperrt. Nun wurde ich tatsächlich nervös. Aber meine gute Fee griff ein, führte meine Finger und beim dritten Anlauf erwachte das Handy zu neuem Leben und Mr. Google war wieder da. Uff.
Ich setzte meine Irrfahrt fort. Zehn Uhr, noch eine halbe Stunde bis zum Auto. Wenn man stetig bergauf fährt, muss man irgendwann auch wieder runter, wenn das Auto an einem Fluss steht. Das geschah auf einer kurvenreichen Straße mit zehn Prozent Gefälle, in deren Verlauf meine Bremsen jaulten und quietschten und sich mächtig beschwerten. Unten verließen mich das Handy und Mr. Google aufs Neue, aber da war ich wieder auf dem Altmühlradweg und fand meinen Weg über die letzten Kilometer auch so. Endlich kam ich nach Solnhofen und rollte glücklich am Auto an. Es war halb elf. Ich steckte das Handy an den Zigarettenanzünder, las Ruts Nachrichten zu ihrem Verbleib – Buchenhüll, Bushäuschen – lud mein tapferes gelbes Stahlross ins Auto und fuhr zu Ruts Rettung. Die Wiedersehensfreude war groß. Um 11 Uhr luden wir ihre alte Mühle ein, fuhren nach Arnsberg und holten unseren Kram unter der Perle hervor. Am Bootsrastplatz darf man nicht campen, deshalb fuhren wir zurück nach Pfünz, wo man das auch nicht darf, aber vom Ort aus nicht gesehen wird. Wir stellten das Zelt auf einer Wiese bei der alten Steinbrück auf, bestückten es mit Isomatten und Schlafsäcken und krochen hinein. Es war halb zwölf.

Pünktlich mit Tagesanbruch begann Regen eine kleine Melodie aufs Zeltdach zu trommeln. Wir rappelten uns schwerfällig auf, packten zusammen und fuhren nach Arnsberg, die Perle holen. Nur, dass bei diesem Wetter weder Paddler noch Radler unterwegs waren, nur eine dicke alte Frau mit ebensolchem Hund. Wir standen im Regen und hofften. Und standen. Und hofften. Endlich kam ein junger Mann rasant den Radweg entlang. Wir stießen ihm schnell ein Paddel zwischen die Speichen, halfen ihm auf und fragten höflich, ob er uns mit dem Boot helfen könnte.
Er konnte, und so nahm auch dieses Abenteuer ein gutes Ende. Wir kauften im Backshop einen Kaffee und Gebäck und fuhren nach einem Indoor-Autofrühstück heim.