Von der Haustüre zum Königssee… Mo, 9. Juni 2025, Tag 1: Haustüre -> Eisenberg

Thoraualm bei Ruhpolding

Mittagspause oberhalb der Thoraualm

Da war es plötzlich. Das stabile Wetter, an das ich schon nicht mehr geglaubt hatte – es stand nun auf einmal vor der Tür. Und der Zeitpunkt hätte besser nicht sein können: Kurz vor der Sonnwende, das hieß maximal lange Tage, kurz vor Vollmond, das bedeutete helle Nächte und um Pfingsten herum – somit wäre die Kundschaft großenteils selbst in Untätigkeit. Mein Fitnesslevel war ganz gut – etliche lange Touren mit reichlich Höhenmetern waren dem vorausgegangen, wenn auch mit deutlich weniger Gepäck.
Ich kaufte Brot (zuviel), Salami (zuviel), Käse (zuviel), für jeden Tag einen Apfel, drei Schokoladen mit Salzmandeln (lecker aber zuviel), salziges Knabberzeug (zuviel) und für jeden Morgen ein Tütchen Smoothie Bowl. Ich packte den großen Rucksack. Zwei Liter Wasser. Schlafsack, Isomatte, aufblasbares Kissen. Dünne Plane mitnehmen oder nicht? (600g). Ich packte sie ein – ich traute der gar so verheißungsvollen Wetterprognose nicht, immerhin regnete es seit Tagen. Ein richtiges Schwergewicht war die Powerbank mit ausklappbaren Solarpanels (650g). Ich packte sie ein – half ja nichts, ich brauchte sie fürs Handy. Regenjacke. Stirnlampe. Messer, Löffel, Faltbecher. Bisschen Wechselkleidung. Outdoorhandtuch, Zahnbürste etc. Und dann noch den wunderbar leichten, dünnen und doch warmen Merinoponcho (500g), der in kalten Nächten den Schlafsack perfekt ergänzt und durch seine Länge viel besser wärmt als eine Jacke. Zu guter Letzt machte ich dann doch auch noch die Stöcke an der Seite fest – es würde zwei sehr steile Abstiege geben, da wären sie vermutlich doch gut. (Ich benutzte sie kein einziges Mal aber ärgerte mich immer, wenn ich damit im Geäst hängenblieb.) Da stand nun mein treuer Begleiter zahlreicher Touren, vollgepackt zu einem dicken Monster, und brachte 15,4 kg auf die Waage. Bestens. Mein Ziel war gewesen, bei ca. 15 kg zu bleiben.
Restproviant, Ersatz-Powerbank, meinen Bikini für den Königssee-Chill und ein bisschen Wechselkleidung packte ich in eine Kiste, die würde ein Freund mir am Hintersee übergeben.

Der Montag begann wolkig – noch nicht das versprochene strahlende Sonnenwetter, aber das sollte sich ja auch erst im Laufe des Tages entwickeln. Ich stand im Garten mit den 15 Kilo auf dem Rücken, hatte den Haustürschlüssel für die Katzenfütterer hinterlegt – und dann ging ich einfach los. That was IT – ich konnte es noch gar nicht glauben, ich war nun tatsächlich unterwegs zum Königssee. Ich fühlte mich richtig fit und kam zügig voran. Erstes Ziel war der Hochfellngipfel. Bis Bründling ging es locker-flockig, und auch als es steiler wurde, machten meine Beine munter weiter. Es waren etliche andere Wanderer unterwegs. Ich überholte kurz unterhalb des Gipfels zwei ältere Damen, denen mein mächtiger Rucksack auffiel. Ich erklärte ihnen mein Vorhaben und sie wünschten mir begeistert alles Gute auf den Weg.
Ich machte keine Pause auf dem Gipfel, sondern wandte mich, nach einem Abstecher zum Gipfelkreuz, nach Süden, über den Thorauer Kopf und hinunter Richtung Thoraualm. Der Abstieg bot einen wunderbaren Blick auf die malerischen Hütten und ich suchte mir am Hang einen Baumstamm für eine Brotzeitpause. Die Almwiesen um mich herum standen in voller Pracht, übersät mit Blumen und Kräutern. Leider schoben sich ständig Wolken vor die Sonne, so dass ich fröstelte. Zeit für Gemütlichkeit war aber eh nicht, also machte ich mich wieder auf den Weg.

Ich folgte dem Abzweig zur Nesslauer Schneid. Diese ist ein schmaler, felsdurchsetzter Rücken, der sich von West nach Ost zieht. Ein abwechslungsreicher Pfad folgt diesem Rücken, windet sich um Felsen oder führt darüber und einmal sogar hindurch. Highlight ist ein markanter Felsen mit Gipfelkreuz und einer schlichten Holzbank. Die Nesslauer Schneid ist beliebt und dieser Fels meist umlagert – zumindest an Wochenenden. Heute war Feiertag und gutes Wetter, doch bislang war mir hier auf dem Steig noch niemand begegnet. Als ich zwischen zwei Felsen hindurchstieg, blickte ich unvermittelt in ein zottiges Hundegesicht, das ebenso überrascht zurückschaute. Der Zottelhund sprang an mir vorbei, nun tauchte Frauchen auf. Die erzählte ganz beglückt, dass sie tatsächlich alleine an Kreuz und Bank gewesen sei und sich auf selbiger hingelegt habe – bis halt jemand kommen würde. Es war aber niemand gekommen und ich beeilte mich, ihren Platz auf der Bank einzunehmen. Ich erklomm die Felsen – Bank und Kreuz standen still und verlassen und ich machte es mir gemütlich. Herrlich, dieses Plätzchen ganz alleine zu haben! Nach ungefähr zwanzig Minuten hörte ich Stimmen – aha, die nächsten glücklichen Bankanwärter. Ich rappelte mich auf, weckte den dösenden Rucksack und wir machten uns wieder auf den Weg.

 

Eine einzige blöde Stelle hat der Steig. Das ist eine glatte, schräge Felsplatte, über die man muss ohne Möglichkeit, sich festzuhalten. Und rechts daneben geht’s doch ganz ordentlich runter. Mit normalem Rucksack – und wenn man nicht grad lehmverschmierte Schuhsohlen hat – geht das ganz gut. Trotzdem denke ich mir dort jedesmal, dass dies doch eine gute Stelle für eine kurze Seilsicherung wäre (die es sonst manchmal an Passagen gibt, wo sie wirklich keiner braucht). Monster und ich kamen gut hinüber und bogen schließlich ab, hinunter nach Brand. Dieses hübsche Waldpfädchen, dem ich da lange folgte, wurde zwischenzeitlich arg matschig, besann sich dann aber wieder und schob mich schlussendlich auf eine Forststraße hinaus, an deren Seite sich glücklicherweise eine Hangquelle befand, an welche ich gleich alle Flaschen auffüllte. Wie wunderbar sind doch unsere Berge! Anders als zum Beispiel im Altmühltal, wo sie dich verdursten lassen, rauscht hier immer irgendwo ein Wasser zu Tale.

Ich kam zum Märchenwald bei Brand mit dem Nesslauer Wasserfall. Ich suchte auf knöcheltief matschigem Seitenweg nach einem Aussichtspunkt auf eben jenen Wasserfall, den es laut Karte geben sollte. Eine Fata Morgana, da rauschte es zwar in der Tiefe, es gab aber keinen Aussichtpunkt. Dafür machte ich anschließend einen Umweg ins moosgrüne Dämmerlicht zwischen den Felsbrocken des Märchenwalds. Eine geheimnisvolle Stimmung, Efeu-verhangen, dicke Wurzeln klammern sich an den Fels. Manchmal löst der Sturm diese Umklammerung und der Baum fällt, reißt alle Erde und alles Moos mit sich. Dann bleibt der Fels nackt und hell zurück und leuchtet durch all das Grün.

Ich kam zurück ins Diesseits in Brand, überquerte die Straße, wandte mich bergauf zwischen zwei Höfen hindurch und beschloss, vor dem Aufstiegs-Finale dieses Tages noch eine Brotzeitpause auf ein paar dicken Baumstämmen zu machen. Ich packte die Ungarische Salami aus und schnitt mir ein dickes Stück ab. Die Enttäuschung folgte auf dem Fuße: sie schmeckte widerlich. Viel zu fett und von dem Nitritpökelsalz hatte ich dann noch die nächsten Stunden was, als mir das Salamiding mit seinem Ranz immer wieder aufstieß. Ich aß das Stück tapfer fertig, mei, nun hatte ich es einmal abgeschnitten, und so ganz ohne wollte ich das Brot auch nicht, aber glücklich machte es mich nicht.
Ein Stück bergauf sprudelte eine gefasste Quelle aus einem Rohr. Ich wusch mir so gut es ging den Salamigeruch von den Fingern und füllte nochmal die Flaschen voll – das würde bis irgendwann am nächsten Vormittag reichen müssen.
Dann kam das Steigerl auf den Eisenberg hinauf. Und da war dann Schluss mit lustig. Meine Beine wollten da nicht hoch, der Schweiß troff und nur der Rucksack hatte es gemütlich. Ich teilte mir den Steig mit tausenden Ameisen, die nichts Besseres zu tun hatten, als mir die Stiefel hochzukrabbeln und sich in meine Beine zu verbeißen. Blöde Viecher. Ich brauchte gefühlt eine Ewigkeit da rauf. Der Steig ist ja auch furzlangweilig, sieht nach jeder Kehre gleich aus, und wenn man aufs Handy schaut, hat man stets noch nicht mal die Hälfte geschafft und noch weitere tausend furzlangweilige Kehren vor sich. Irgendwann schaut man gar nicht mehr. Es wurde eine Stop-and-go-Sache. Danke an all die Bäume, an die ich mich zwischendurch lehnte! Hin und wieder meldete sich die Salami aus meinem Verdauungstrakt. Und irgendwann war es dann doch geschafft und ich stand oben am Mittagwandl. Ich ließ den Rucksack auf den Boden gleiten, worauf ich gleich wieder zehn Zentimeter größer wurde. Nahezu schwerelos schwebte ich die zehn Meter auf den kleinen Gipfel und schaute in die Abendstimmung im Tale.

Zurück beim Rucksack ging es nun darum, einen Schlafplatz zu finden. Ich hatte bei einer letztjährigen Erkundungstour eine ebene Stelle unter einer riesigen Buche ins Auge gefasst – nur war der alte Baum inzwischen auseinandergebrochen, seine gewaltigen Äste lagen am Boden. Schade um den schönen Baum. Ich trat an den Rand der angrenzenden Almwiese – die war abfallend, da musste erstmal eine ebene Stelle gefunden werden und bisschen sumpfig war sie teils auch. Ich suchte eine Weile hinum und herum, viele Hirschhaufen gab es, natürlich vor allem auf den gemütlichen Plätzchen. Schließlich entschied ich mich für eine winzige ebene Stelle am Waldrand (mitten in die Hirsch-Wiese wollte ich nicht, der Mensch  – also in dem Fall ich – macht sich sowieso überall rücksichtslos breit) Ein paar Disteln wuchsen direkt daneben und ich griff auch gleich hinein und hatte fortan eine pieksende Stelle am Finger. Mit dem Schwinden der Sonne wurde es kühl und ich zog an, was ich an warmen Sachen dabei hatte – eine Leggins und ein Langarmshirt. Und natürlich den kuscheligen Poncho. Ich blies die Isomatte auf, schüttelte den Daunenschlafsack fluffig auf und schlüpfte hinein.

Ich kramte im Rucksack an der Salami vorbei einen harmlosen Apfel hervor und ein Tütchen salzige geröstete diverse Körner. Ich war gerade noch damit beschäftigt, mir eine Handvoll in den Mund zu schieben, als ich vis a vis am anderen Ende der Almwiese eine Bewegung am Waldrand sah. Vier Rehe kamen zögerlich aus dem Wald, hielten inne, standen unschlüssig herum und verschwanden dann wieder. Sorry, zu laut gekaut oder es lag noch mein Geruch auf der Wiese. Ich widmete mich dem Apfel, da erschien wieder was Braunes auf der nun schon ziemlich dämmrigen Wiese. Ein Einzeltier und viel größer als ein Reh. Das musste ein Hirsch sein – ich sah es nicht genau. Eine Hirschkuh hätte aber vermutlich ein Kalb dabei, und ein Bulle sein Gehörn auf dem Haupt, oder? Whatever it was, es rupfte Gräschen vor sich hin, während ich ganz vorsichtig in den Apfel biss, um nur ja nicht aufzufallen, die haben gute Ohren. Es wurde dunkel, der Apfel war bei der immernoch recht dominanten Salami angekommen, der Mond erschien, mir war kalt und ich war müde und kuschelte mich in die Daunen.
Auch die Nachtruhe wurde eine Stop-and-go Sache – wie das ja immer ist beim Biwakieren. Mein Plätzchen war fein, aber so ein Schlafsack ist eng und die Isomatte schmal. Dafür hat man die frische Waldluft und irgendwie erwacht man am Morgen doch ausgeruht.