Lange schon wollte ich auf der Moldau paddeln, und jetzt hat es sich spontan ergeben. Die Sommertage sind stabil und heiß, wie sie herrlicher nicht sein könnten, und meine Freundin Rut hatte Zeit bis Freitag. In aller Eile -ich war über’s Wochenende in Heidelberg gewesen zu einem Fototermin – studierten wir am Montag Flussbeschreibungen und Karten im Internet, gingen Einkaufen, packten ein paar wenige Kleidungsstücke und umso mehr Leckereien in Kisten und wasserdichte Packtaschen, Isomatte, Schlafsack, Zelt für alle Fälle, Wasserkanister – fertig.
Wir standen am Dienstag zeitig auf – das Auto hatten wir bereits am Vortag beladen – und fuhren los in Richtung Abenteuer, über Salzburg nach Lenora an der Moldau. Wir hatten gelesen, dass die Moldau vor dem Stausee durch den Nationalpark Böhmerwald fließt und dass es dort Beschränkungen in der Befahrung gibt. Es darf täglich nur eine bestimmte Anzahl Boote durch den Nationalpark fahren, eine Genehmigung gibt es vor Ort oder vorab über’s Internet. Da wir das erst am späten Montag Abend herausgefunden hatten, mussten wir darauf hoffen, dass nicht zu viele andere Paddler vor uns denselben Wunsch haben würden…
Wie sich bei der Ankunft herausstellte, durfte gar niemand fahren: Der Wasserstand war mit 46cm zu niedrig. Schaaaade!! Aber unterhalb des Nationalparks, ab Pekna bis in den Stausee, darf man immer fahren. Also entschieden wir uns für diese Strecke. Und hatten Glück: Es waren nur sehr wenige andere Boote unterwegs, wir hatten die herrliche Landschaft hauptsächlich für uns. Was uns in der sommerlichen Hitze ziemlich bald dazu verleitete, an einer Sandbank anzulegen und in Evas Kostüm in die kühlen Fluten zu springen. Das Wasser war herrlich frisch und klar, wenn auch ein wenig moorfarben, und am Grund glitzerte der Glimmer des verwitteten Granitgesteins im Sand wie Gold. Wir tummelten uns dort eine Weile, stärkten uns mit Brot, Käse und Obst, verscheuchten die eine oder andere aufdringliche Wespe und ließen uns in der Sonne trocknen.
Schließlich schlüpften wir wieder in T-Shirt und Hose und paddelten gemächlich weiter. Die Moldau schlängelte sich durch Wiesen und Fichtenwald, ab und an leuchteten Birken am Ufer und spiegelten ihr frisches Weiß im ruhigen dunklen Wasser. Dann und wann trafen wir auf ein anderes Boot und lernten, dass man sich in der Tschechei mit „Ahoi“ begrüßt – was ich ganz entzückend finde, besonders natürlich auf dem Fluss. Wir kamen noch an einigen verlockenden Sandbänken vorbei. Manche waren mit Badenden besetzt, die mit dem Kanu angelandet waren oder am Ufer ein Fahrrad liegen hatten. Hier und da stand ein Angler im Wasser. Blauflügelige Prachtlibellen schwirrten federleicht wie leuchtende Edelsteine am Ufer umher und die Sonne malte durch die Baumäste hindurch ein Fleckenmuster auf‘s Wasser. Ein Sommeridyll, dessen entspanntem Rhythmus wir uns gerne unterwarfen.
Viele herrliche mögliche Lagerplätze sahen wir am Ufer, doch war unser Plan ein anderer und wir hatten auch nur Tagesgepäck dabei – ein bisschen schade. Dem muss man allerdings hinzufügen, dass es in der Tschechei verboten ist, wild zu campen und dass es entlang der Moldau strenge Kontrollen gibt.
Die Sonne brannte ganz schön heftig herunter und wir legten weiter flussabwärts ein zweites Mal zum Baden an.
Auf der Weiterfahrt kamen wir an dem einen oder anderen reizvollen kleinen Ferienhaus vorbei, das pittoresk zwischen den Bäumen am Ufer stand. Die Menschen, die sich am und im Fluss tummelten, waren von äußerst zurückhaltender Freundlichkeit, um es mal vorsichtig zu formulieren – die meisten ignorierten uns und unseren Gruß einfach. Dazu muss man sagen, dass sich die Weiße Perle von den restlichen Booten abhob wie ein Schwan von einer Schar zerrupfter Graugänse. Die tschechischen Boote waren allesamt alt und ziemlich ramponiert. Wir hätten auch ein Schild umhängen haben können „Deutsche Touristen“.
Allmählich ging die Moldau schließlich in den Stausee über: der Wald blieb hinter uns zurück, an seine Stelle trat eine weite , verzweigte Gras-Wasserlandschaft, in der wir uns erst mal ein wenig orientieren mussten, um die richtige Richtung zu finden. Diese Weite aus Gras und Wasser fand ich durchaus auch reizvoll, allerdings war das Paddeln da wegen der fehlenden Strömung wesentlich anstrengender.
Wir kamen unter einer Straßenbrücke hindurch, gleich danach erreichten wir den Campingplatz von Nova Pek und landeten an. Wir zogen das Boot an Land und fragten nach einer Mitfahrgelegenheit zurück zum Auto. Ein wenig hilflos fühlten wir uns dabei, weil um uns herum nur Tschechisch zu hören war – aber schon die ersten, die wir fragten, hätten uns nach Pekna gebracht, (obwohl sie gerade erst selbst das Auto von dort geholt hatten und das somit gar nicht auf dem Weg lag) wollten allerdings erst noch am Campingplatz essen. Rut versuchte ihr Glück mit Daumen-raus an der Straße, aber die zwei Autos, die da vorbei fuhren, hielten nicht. Ich hörte eine Frau ihren Sohn auf Deutsch zum Zusammenpacken mahnen und ergriff die Gelegenheit. Das war eine deutsche Tourifamilie, die fuhren zwar eigentlich in die andere Richtung, netterweise waren sie aber bereit, Rut nach Pekna zu bringen. Na bitte.
Ich machte es mir deweil neben der Perle auf der Wiese gemütlich…
Nach kurzer Zeit hörte ich den Sound meines kleinen Schwarzen und Rut steuerte es rückwärts zum Boot. Wir luden das ganze Gepäck ein, dann guckten wir, ob ein Mann greifbar wäre, um uns beim Aufladen zu helfen. Ein ziemlicher Koloss hatte sowieso schon hergeschaut und kam herüber. In zwei Brocken Deutsch „Boot – Auto laden“ erklärte er seine Hilfsbereitschaft und griff das eine Ende der Perle. Ich in der Mitte, Rut am anderen Ende. „Moment“, sagte da der menschliche Berg nach einem Blick auf uns Zwei, nahm die Perle in der Mitte hops und hievte sie fast alleine auf‘s Autodach, Rut hing noch ein bisschen am hinteren Ende dran. Er rückte die Perle zurecht, während wir die Münder wieder zuklappten. Also, das war mal ein wirklich starker Mann – der muss Gewichtheber oder sowas sein, unglaublich! Wir bedankten uns und gaben unserem Erstaunen Ausdruck…
Am nächsten Tag wollten wir unterhalb von Cesky Krumlov paddlen, also fuhren wir am Stausee entlang in diese Richtung, auf der Suche nach DEM Übernachtungsplätzchen. Der See ist riesig, über 40km lang, die Uferlinie sogar über 150km. Die hätt ich nicht paddeln wollen…Wir genossen den Blick in die Landschaft, in der die Natur noch wesentlich mehr Platz hat als bei uns. Es wird dort nicht jeder Quadratmeter landwirtschaftlich genutzt, es gibt noch relativ viel brachliegende Fläche mit Büschen und Gestrüpp und riesige extensiv genutzte Wiesen. Schön.
In den Dörfern findet sich eine Mischung aus scheußlichen kommunistischen Betonbauten, verlassenen malerischen alten Häusern und Wohnhäusern in verschiedenstem Erhaltungszustand. Ein Eldorado zum Fotografieren, teilweise sehr pittoresk. Pensionen und Restaurants gab es entlang des Sees recht zahlreich, sie waren durchwegs in Top-Zustand.
Schließlich erreichten wir das Ende des Sees und fingen an, Ausschau nach einem Übernachtungsplätzchen zu halten. Das gestaltete sich schwierig – die Straße schlängelte sich im Wald durch das Tal, links der Fluss, rechts der Hang, hinter mir andere Autos. Abrupt zu bremsen war nicht ratsam, außerdem hatte jeder seltene abzweigende Weg eine Schranke oder ein Durchfahrt-Verboten Schild. Doch das Glück war uns hold: In einer großen Rechtskurve lag ein Wander- und Rastparkplatz. Ein Schild informierte uns über eine interessante Felsformation auf der anderen Seite, die Certova Stena (Teufelswand). Um dieses Granit-Blockmeer rankt sich die Sage, dass der Teufel sich durch den Bau des nahegelegenen Klosters Vissy Brod (Hohenfurt) gestört gefühlt hatte und daher die Moldau aufstauen wollte, um das Kloster in einem Schwall fortzuspülen. Der Teufel schaffte es aber nicht, sein Werk bis zum ersten Hahnenschrei zu vollenden und musste aufgeben. Voller Wut schleuderte er den letzten großen Granitbrocken auf die Erde, und da liegt er nun, oberhalb des Blockmeers, umrahmt von Kiefern, hoch über der Moldau, die über des Teufels Blöcke in ihrem Bett rauscht. Früher rauschte sie noch wesentlich mehr, denn durch den Stausee ist die Wassermenge heutzutage sehr moderat. Der Wahrheit näher ist wohl die Annahme, dass hier in Vorzeiten ein slawisches Heiligtum war, dessen Bedeutung für das Volk sich die Kirche mit der Teufelssage zunutze machte.
Es soll dieser Flussabschnitt übrigens Smetana zu seinem Werk inspiriert haben.
Uns inspirierte dieses böhmische Kleinod zum Abendpicknick. Wir holten den Kocher und die Fresskiste und platzierten uns im schönsten Abendsonnenschein auf den warmen Granitfelsen. Bei unserer Ankunft waren noch ein paar andere Leute auf den Felsen herumgestiegen, inzwischen saßen wir aber herrlich alleine auf des Teufels Kanzel.
Als Vorspeise und um die Dauer des Nudelkochens zu überstehen gab es Oliven aus dem Glas. Direkt vor uns wuchs eine Kiefer im Felsenmeer, und deren untersten Ast versuchten wir beim Kernespucken zu treffen. Ich schaffte immerhin den Stamm…
Als wir nach dem Essen alles Zeugs zum Auto zurück trugen, um stattdessen die Schlafsachen zu holen, saßen da am Picknicktisch im Dämmer drei junge Männer, rauchten, tranken Cola, hatten das Autoradio an und wirkten insgesamt so, als würden sie da über Nacht sitzen bleiben wollen. Das war blöd, denn wie gesagt – man darf da nirgends wild campen, und wir wollten nicht, dass uns jemand mit Schlafsack und Isomatte im Wald verschwinden sah. Wir improvisierten die Situation, indem wir zwei Tassen und Ruts Flasche Erdbeerlimes – der bei uns seither unter dem tschechischen Decknamen „Limovici“ läuft – in einen Korb packten und zurück zum Felsen gingen. Dort lagen wir auf den sonnengewärmten Granitfelsen, schauten in den dunkler werdenden Sternenhimmel und schlürften den dickflüssigen leckeren Limovici aus den Tassen. Den Wodka da drinnen schmeckte man gar nicht, aber es wurde einem schön leicht ums Herz.
Irgendwann schlichen wir im Dunkeln zurück zum Parkplatz, der inzwischen wieder verlassen dalag. Wir packten die Schlafsachen und Taschenlampen und suchten uns im Dunkeln ein Plätzchen im Heidelbeerkraut, etwas abseits der Teufeleien, damit am Morgen nicht ein verfrühter Tourist über uns stolpern würde. Es dauerte ein Weilchen, bis alle Kiefernzapfen aus dem Weg geräumt waren und wir uns betteten. Es war noch so warm, dass ich mich auf den Schlafsack statt innen rein legte. Ein energisches Lüftchen hatte sich erhoben und wiegte die Baumwipfel über uns. Ich lag neben einer schlanken Birke und hatte in luftiger Höhe direkt über mir einen abgestorbenen Ast… Es dauerte nicht lange, und ich entschlummerte sanft, doch wurde der Wind böig und stürmisch und riss mich und meinen Gedanken an den abgestorbenen Ast des Nachts immer wieder aus dem Schlummer. Zu blöd. Außerdem fand immer mal das eine oder andere Insekt seinen Weg zu mir, was auch nicht zur friedlichen Nachtruhe beitrug.
Nichtsdestotrotz erwachte ich ziemlich früh am Morgen, die Sonne hatte sich noch gar nicht hervor getraut. Der Sturm war irgendwann auch Schlafen gegangen und der Morgen war friedlich und still. Die Moldau rauschte von unten herauf und lockte mich. Rut und ihr Schlafsack bildeten eine blaue Wurst im Heidekraut und rührten sich nicht. Ich döste noch ein Weilchen, dann gab ich dem Erkundungsdrang nach und stieg aus den Federn, um zum Fluss hinunter zu steigen und Tag Zwei zu beginnen…