Sommertage auf der Moldau – Tag 2 – Von Zlata Koruna nach Borsov nad Vltavou

Die Teufelsströme der Moldau

Die Teufelsströme – heutzutage eher zahm

Der zweite Tag fand mich recht zeitig auf Entdeckungstour zum Fluss. Ein schmaler Pfad führte entlang des Blockmeeres durch den Kiefernwald nach unten, was wir am Vorabend im Dunkeln gar nicht gesehen hatten. Barfuß tastete ich mich über den mit Kiefernzapfen übersäten Weg zum Fluss hinunter. Ich hatte vorgehabt, Hände zu waschen und das noch etwas schläfrige Gesicht aufzuwecken, doch war das Wasser hier alles andere als verlockend: Blasen trieben auf der Oberfläche flussabwärts, Schaumkronen tanzten im Kehrwasser und das moorige Gelbbraun des Flusses hatte einen trüben Charakter bekommen. Wie schade…

Ungewaschen ging ich eine Weile am Fluss entlang, der durch den Stausee oberhalb seine Wildheit verloren hat. Einmal im Jahr wird für Kajakfahrer eine relativ große Menge Wasser abgelassen, das ist dort ein bekanntes Event.
Ich begann dann, das Blockmeer hinaufzuklettern – es hätte ja sein können, dass Rut inzwischen aus ihrer blauen Pelle schlüpft und ohne mich mit dem Frühstück beginnt…
Die rauhen Granitfelsen waren warm, obwohl die Sonne sie noch nicht erreicht hatte. Sie hatten die Wärme des Vortages gespeichert. Der Fels war schön griffig und es machte Spaß, hinaufzuklettern. Oben streiften erste Sonnenstrahlen die Teufelskanzel.

Rut lag noch geruhsam im Heidekraut, auch sie hatte des Nachts der Sturm um den Schlaf gebracht. Wir schüttelten alles Käfergetier aus den Schlafsachen, packten zusammen und gingen zum Auto. Wir bürsteten Haare und Zähne und gingen mit der Fresskiste zurück zur Teufelskanzel zum Frühstück. In der Morgensonne futterten wir eine große Portion Müsli mit Obst und löslichem Kaffee. Die Wespen waren auch schon wach.

Als die ersten Touristen erschienen, packten wir zusammen und fuhren in Richtung Cesky Krumlov weiter. Wir hatten vor, direkt nach Krumlov einzusetzen, da die Strecke vor und durch Krumlov sehr übervölkert ist – man könnte das Wasser quasi auch ohne eigenes Boot trockenen Fußes überqueren. Leider haben wir keine Einsetzstelle gefunden, dafür einen morgendlichen Stau vor einem Kreisverkehr, in den wir nicht mehr zurück wollten, nachdem wir irrtümlich falsch abgebogen waren. Wir entschieden also, bis Zlata Koruna weiterzufahren und dann von dort nach Borsov zu paddeln.

In Zlata Koruna fanden wir die Einsetzstelle gleich – ist nicht verkehrt, sich das Ganze zuhause bei Google Maps anzuschauen und auszudrucken… Wir holten die Perle vom Dach – runter geht ja immer – und beluden sie. Alles festgezurrt für den Fall des Umfallens und los ging‘s. Die Moldau hat hier einen ganz anderen Charakter. Nicht durch Wald- /Moorlandschaft wie im Oberlauf, sondern vorbei an Wiesen, kleinen Dörfern, Felsen und durch Wald windet sie sich in großzügigen Schleifen. Dabei hat sie einiges an Felsbrocken in ihrem Bett, die sich nicht immer vermeiden lassen, weil sie stellenweise dicht gesät sind und man sie im dunklen Wasser oft erst in letzter Sekunde sieht. Ein paarmal rumpelte die Perle ganz schön heftig darüber, was uns jedesmal in der Seele wehtat. Ich sah mich im Geiste schon wieder in der Garage stehen und das Gelcoat reparieren… Ich stellte hinterher aber fest, dass das Gelcoat einiges aushält – es fanden sich nur drei kleine wirklich tiefe Kratzer. Die leichteren zähle ich inzwischen nicht mehr…

Dieser Flussabschnitt war gut besucht. Stellenweise mussten wir sowohl den Fluss mit seinen lauernden Steinblöcken als auch eine Menge anderer Boote im Auge behalten. Wir trafen nur Tschechen, von denen die meisten wohl auch Touristen waren, und hier grüßte jeder jeden mit einem fröhlichen „Ahoj“. Wir wären auch ein paarmal ins Gespräch gekommen, wenn wir denn verstanden hätten, was die Leute uns zuriefen.

Die Sonne brannte herunter, doch zum Baden lockte das blasig-braune Wasser nicht. Am Nachmittag suchten wir uns ein schattiges Plätzchen auf einer Wiese, für Brot mit Käse und ein Nickerchen. Und da schwirrten sie auch schon wieder, unsere aufdringlichen Mitesser, und die wurden richtig aggressiv. Lästiges Viechzeug. Ein besonders dummes Stück kroch unter mein T-Shirt und stach mich in die Seite – blödes Vieh!! Zum Glück bin ich nicht empfindlich auf Wespenstiche und schon nach kurzer Zeit merkte ich nichts mehr davon.
Nachdem wir das restliche Essen in der Kiste verstaut hatten, verzog sich das Geschwirre und wir machten es uns ein Weilchen gemütlich, dann stachen wir wieder in See bzw Fluss. Überall am Ufer flatterten Blauflügel Prachtlibellen herum, wunderschön.

Diese Schönheiten flatterten zuhauf um uns herum

Blauflügel-Prachtlibelle

Bis Borsov war es nicht mehr allzu weit und der Tag war auch schon etwas fortgeschritten, also begannen wir nach einer Weile, nach einem netten Plätzchen für die Nacht Ausschau zu halten. Das Problem auf dem Fluss ist, dass man weiter treibt, während man überlegt, ob das erspähte Stückchen Natur nun den Vorstellungen entspricht oder nicht. Und dann ist man auch schon vorbei, und drehen und zurück paddeln ist bei einer gewissen Strömung auch nicht so leicht. So verpassten wir die eine oder andere Gelegenheit, mussten ein wirklich hübsches Fleckchen Gras mit Feuerstelle unter einer Eiche am Ufer zurücklassen, weil die Strömung dort zu stark war und es einige dicke Brocken am Ufer hatte – da hineinrauschen wollte ich mit der Perle lieber nicht…

Rechts unte den Bäumen übernachteten wir, unter der Wand war die Küche

Kurz vor dem weltschönsten Biwakplatz

Hundert Meter weiter kam kurz vor einem weiteren Strömungsabschnitt ein anderes grasiges Plätzchen rechts am Ufer, unter einer Weide. Diesmal entschieden wir uns sofort und legten an. Naja – das Eckchen war brauchbar, aber nicht besonders schön. Etwas sehnsüchtig schauten wir zurück zur letzten Kurve, in der auf der anderen Seite eine schöne Sandbank lag, an der sich ein Mann mit Hund im Wasser vergnügte. Gegenüber der Sandbank war eine Felswand und dort hatte ich hinter Büschen einen Überhang gesehen, der brauchbar wirkte… Wir beschlossen, erst mal abzuwarten – der Abend näherte sich, und bis 20 Uhr muss man den Fluss verlassen haben. Das konnten wir aussitzen. Boot auf Boot zog vorbei, wir lümmelten uns ein Weilchen ins Gras. Es war immernoch heiß und ich zog ein Bad in Erwägung, doch die Steinbrocken und die Blasen im trüben Wasser hielten mich davon ab. Ein schmaler Pfad führte das Ufer entlang, Rut folgte ihm ein Stück flussabwärts zu einer gemähten Wiese. Hm. Die wäre eine Option, aber am Fluss ist es doch schöner… Inzwischen kamen keine Boote mehr vorbei, und auch Mann und Hund waren verschwunden.

Ich beschloss, da oben mal nachzuschauen, und folgte dem Pfad flussaufwärts. Der endete am Beginn der Felswand, an der man aber flussseitig ganz gut entlang klettern konnte, auch barfuß. Drunter war eh der Fluss mit einer tiefen, ruhigen Stelle, da wär man im Falle eines Falles reingeplumpst. Nach dem Felsen kam ein morastiges Stück mit Schilf, bei dem ich plötzlich eine dicke Kreuzspinne vor dem Gesicht baumeln hatte – die schob ich mit einem Ästchen zur Seite. Dann war ich in der Kurve, genau bei dem Überhang, den es da tatsächlich gab. Einen kleinen Absatz rauf, und schon stand ich auf einer ebenen Fläche unter der Felswand, mit Feuerstelle und alter Eisenbahnbohle zum Sitzen. Zum Fluss hin durch einen Haselnussbusch geschützt. Perfekt!
Haken in der Wand verrieten, dass hier manchmal geklettert wird.

Und hier begann auch wieder ein schmaler Pfad, führte weiter am Ufer entlang – zu dem Grasstück unter der Eiche, an dem wir vorher vorbeigerauscht waren. Gleich zwei so herrliche Plätzchen! Blieb noch die Schwierigkeit, das Boot hierher zu kriegen. Zwischendrin war wenig Strömung, kein Problem, aber unten, wo die Perle vor Anker lag, und hier in der Kurve, hätten wir nicht gegenpaddeln können. Zum Treideln war das Wasser aber auch ganz schön tief und vor allem voller Steinbrocken, die nur darauf warten, dass man sich die Zehen dran stößt… Aber erst mal wollte ich zu Rut zurück und dann mit ihr beraten, was zu tun sei. Ich stieg also in die trübe Brühe, um zum Sandstrand rüber zu waten, wo die Strömung schön ruhig war. Mit dem Waten das klappte bloß nicht so ganz, denn ich stolperte fluchend zwischen den fetten Steinbrocken herum und schließlich riss mich die Strömung um – suuper, da war ich also ganz in dem appetitlichen Wasser gelandet. Bloß schön den Mund zulassen! Ich schwamm zum Sandstrand und schaute mich da kurz um – ein Wanderweg führte dahinter durch den Wald. Dann watete ich im Fluss am Ufer entlang – auf dieser Seite war griffiger Sand – bis kurz vor unserem Ankerplatz. Da versuchte ich zu queren und haute mir an den Steinen, die sich da wieder überall fanden, ordentlich die Füße und Schienbeine an. Aua! Schließlich schwamm ich das letzte Stück.

Ich erzählte Rut begeistert von meinen Entdeckungen und wir beschlossen, das Boot doch zu treideln – zu zweit würden wir das schon schaffen, wir konnten uns ja am Boot festhalten beim Steinestolpern. Es ging dann auch ganz gut, wenn auch nicht ohne Schrammen. Das letzte Stück in der Kurve war die Strömung ganz schön heftig, da hatten wir ordenlich zu tun. Bei dem Felsüberhang war keine Möglichkeit, das Boot an Land zu hieven, also holten wir es bei der Eiche raus und schoben es unter ein Gebüsch, damit es vom Fluss aus nicht sichtbar war. Immerhin ist die Perle weiß, das ist nicht grad ne Tarnfarbe…

Neben der Felswand führte ein kleiner Pfad den Hang rauf nach oben. Ich hoffte auf einen wunderbaren Panoramablick auf den Fluss und stieg munter bergan, Rut kam nach einigem Protest hinterher. Oben leuchteten die Bäume in der Abendsonne und wir hatten tatsächlich einen fantastischen Blick nach unten – wenn ich der Kante auch lieber nicht allzu nahe kam. Es war da schon sehr senkrecht.
Der Hunger trieb uns schließlich wieder nach unten.

Rut fand die überhängende Felswand etwas gruselig und so entschieden wir, dort die „Küche“ einzurichten und unter der Eiche auf dem Gras zu schlafen. Wir kochten eine Bulgur-Fertigmischung aus dem Bioladen, die so langweilig und trocken war, dass wir schon nach dem ersten Löffel keine Lust mehr hatten. Wir halfen uns mit ein paar Stücken Bergkäse, der allerdings nicht wirklich dazu passte, und gingen dann zur Schokolade über.

Es dämmerte ziemlich und wir wechselten ins Schlafzimmer unter die Eiche, wo wir einen Orangenblütensecco im Wasser kühl gelagert hatten. Dummerweise befand sich der Flaschenöffner in der Kochkiste unter der Felswand, zu der es doch ein gewisses Stück unwegsamen Pfades war. Ich probierte, den Kronkorken mit einem Haken von der Befestigung der Kameratasche zu öffnen, war aber nicht erfolgreich. Rut erklärte sich seufzend bereit, den Flaschenöffner zu holen. Derweil probierte ich weiter, und plötzlich – sie war grad erst hinter den Büschen verschwunden – gab es einen Knall und der Korken flog. Ich rief ihr nach, aber das Rauschen des Flusses war stärker. Ich setzte mich also neben die offene Flasche und wartete. Sie war bei ihrer Rückkehr gar nicht so begeistert wie ich, dass ich es doch geschafft hatte…

Wir saßen lange unter der Eiche am Fluss, tranken Secco und schauten dem Licht beim Schwinden zu. Schaumkrönchen tanzten auf dem Wasser vorüber und drehten sich munter. Schließlich krochen wir müde unter die Schlafsäcke. Der Fluss rauschte. Grillen zirpten. Ein wunderbarer Sommerabend ging in die Nacht über…